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23.05.2011   News
Komplexität verringern
 
Nachdem die Finanzbrache in der Krise vor allem mit sich selbst beschäftigt gewesen ist, bemüht sie sich nun, in ihrer Kommunikation die Bedürfnisse der Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Bei denen stößt sie aber oft auf wenig Resonanz. Von Hans-Dieter Sohn

Ein Vergleich zweier Werbespots der Sparkassen: In einem Vorkrisen-Spot will ein Kunde nur zur nächsten Sparkassen-Filiale und findet sich – schwupps – mit einem im Wortsinn „abgehobenen“ Banker in einem Helikopter wieder. Der Banker überrumpelt den verdutzen Kunden zunächst mit einem rasanten Rundflug durch Hochhäuserschluchten und zeigt ihm die großen und glitzernden Finanztürme der Sparkassengruppe von weit oben. Dann „entführt“ er den Kunden sogar kurzerhand auf eine Reise in die internationale Sparkassenwelt, nach der der Kunde gar nicht gefragt hatte. Im Nachkrisen-Spot liegt der Fokus auf der Konkurrenz, den Managern der 0815-Bank, die sich in einer Nachtsitzung fragen, warum ihnen das Sparkassen-Finanzkonzept um Längen voraus ist. Sie kommen alle zur selben Antwort: Die Sparkasse habe maßgeschneiderte Lösungen. „Die hören den Kunden einfach besser zu.“
So haben nicht nur die Sparkassen reagiert, die gesamte Finanzbranche hat nach der Krise reumütig eine neue Kundenorientierung ausgerufen. Die Commerzbank und andere Geldhäuser richteten einen Kundenbeirat ein, der Versicherer Ergo verkündete: „Versichern heißt verstehen.“ Nico Ziegler, Managing Partner der Kommunikationsberatung fischerAppelt, advisors, findet solche Claims zwar charmant, fordert aber, dass es nicht nur bei Botschaften bleibt, sondern dass sich diese auf das Kerngeschäft der Finanzdienstleister auswirken, „denn Kunden haben ein sehr feines Gefühl dafür, was lediglich ein Marketing-Gag ist“.
Die Sparkassen berufen sich auf das „Sparkassen-Finanzkonzept“, dem zufolge ein Berater erst „die Lebens- und Bedürfnissituation des Kunden umfassend erheben und analysieren muss, bevor er die Produkte empfehlen kann“, wie Christian Achilles, Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, erläutert. Die Deutsche Bank geht noch weiter und hat im vergangenen Jahr „die Schaffung von Kundennutzen“ als Messgröße für die Unternehmenssteuerung aufgenommen und der erzielten Vertriebsperformance gleichgestellt. Auf einer Achse der Performance-Matrix werden die Aktionärsinteressen dargestellt, auf der anderen die Kundeninteressen, gemessen an der Kunden-Bindung, dem Wachstum im Kunden- und Mandatsvolumen und der Sicherung der Kunden-Performance. „Erfolg bedeutet seither, entlang beider Achsen gleichgewichtet zu wachsen“, erläutert Deutsche Bank-Privatkunden-Vorstand Rainer Neske im Fachmagazin „Die Bank“ die neue Strategie.
Doch nicht nur vor der Krise, auch mittendrin waren die Banken zu oft mit sich selbst beschäftigt. „Sie waren aus Kundensicht etwas abgetaucht“, als die Finanzkrise über die globale Bankenlandschaft hinweg fegte, sagt Alfons Niederländer, Geschäftsführer der Agentur Niederländer Consult. Der „Jahrhundert-Sturm“ Finanzkrise, wie ihn Neske erlebte, hat auch die Einstellung der Kunden gegenüber der Branche verändert. „Das Vertrauen der Kunden ist mit der Krise nachhaltig zerstört worden und muss nun zurückgewonnen werden“, sagt Carsten Böhme, Geschäftsführer der Agentur Stockheim Media. Ziegler glaubt gar: „Verbraucher haben jegliche Lust verloren, sich mit den Produkten der Finanzindustrie zu beschäftigen. Sie schalten sogar ab, wenn es um eigentlich positiv besetzte Themen geht.“ Bereits vor der Krise war das Interesse der Bundesbürger an Finanzthemen gering, ihr Grundwissen ebenso, fasste im März der Marktforscher Andreas Pohle von TNS Infratest im Branchenmagazin „bank und markt“ die Ignoranz der Kunden zusammen. Und gerade einmal jeder Zwanzigste hat Pohle zufolge aufgrund der Finanzkrise Schritte unternommen, um zum Beispiel sein Finanzwissen zu steigern.

Hohes Sicherheitsbedürfnis
Auch die geringe Bereitschaft, Finanzprodukte bei einer Bank abzuschließen, bei der man noch nicht Kunde ist, zeigt, wie träge sich viele Kunden verhalten: Zwei Drittel der Bevölkerung, so berichtet Pohle, fanden 2010 den Aufwand für einen solchen Schritt – trotz guter Angebote bei der Konkurrenz – zu hoch. Vor der Krise war es noch die Hälfte. Ein Drittel der erwachsenen Deutschen hortet „größere Bargeldreserven zu Hause, statt das Geld sicher und gewinnbringend etwa auf einem Tagesgeldkonto anzulegen“, beklagte die Bank of Scotland Ende April. Die Deutschen halten ihr Geld aber nicht im Sparstrumpf, weil sie Angst vor einer neuen Finanzkrise haben. Laut der Forsa-Umfrage für die schottische Bank verleiht das „Heimsparen“ vielen schlicht ein Gefühl von Sicherheit.
Aber ist es „gewinnbringend“, sein Geld lediglich auf Inflationsniveau anzulegen, also bei einem Realzins von Null? „Wenn der Kunde das Gefühl hat, inflationsbedingt Geld zu verlieren, kann auch eine niedrig verzinste, sichere Anlage ein Risiko darstellen“, sagt Andreas Glänzel, Geschäftsführender Partner der NewMark Finanzkommunikation. Da liegt es für Kunden eigentlich nahe, nach Produkten mit einem größeren Renditehebel zu suchen. Damit steigt wiederum das Risiko. Gleichzeitig hat TNS-Infratest-Forscher Pohle bei zwei Dritteln der Bankkunden ein durch die Krise vermehrtes Sicherheitsbedürfnis ausgemacht. Zwei Typen von Bankkunden kennt auch fischerAppelt, advisors-Mann Ziegler. „Es gibt in Deutschland die sicherheitsorientierten Bankkunden, aber auch einen besonders hohen Anteil von Kunden, die bewusst mit ihrem Geld zocken“, erläutert er. „Die dafür geeigneten Produkte sind nicht das Problem, die Berater dürfen sie nur nicht an die falschen Leute verkaufen.“

Finanzprodukte: Oft schwer vermittelbar
Doch für einzelne Finanzprodukte finden Berater offenbar nicht die richtigen Botschaften. Nicht nur deshalb, weil auch Laien in Zeiten staatlicher Rettungspakete und höchster Staatsverschuldungen unter anderem die Sicherheit von Staatsanleihen anzweifeln. Die Finanzindustrie hat zudem „Produkte von einer Komplexität entwickelt, die eher auf die Vorstellungswelt von Raumfahrtingenieuren zugeschnitten waren als etwa auf die Bedürfnisse von regional orientierten Banken, mittelständischen Unternehmen oder von Privatanlegern“, wie Deutsche Bank-Vorstand Frank Gerstenschläger im Fachblatt „Die Bank“ schreibt.
Bei Zertifikaten beispielsweise sind „Inhalt und Preis auf den ersten Blick nicht oder nur schwer ersichtlich“, kritisiert Stockheim Media-Geschäftsführer Böhme. „Hier kann und sollte die jeweilige Branche noch mehr tun – ansonsten besteht die Gefahr dass Kunden und Regulierer früher oder später reagieren“, warnt er. Das ist sicher ein Grund dafür, dass die meisten Anleger Zertifikate derzeit nur mit Netz und doppeltem Boden wählen. Ende 2010 meldete der Deutsche Derivate Verband, in Deutschland seien 42 Prozent des in Zertifikaten angelegten Geldes in Papieren ohne Kursrisiko und mit festen Zins-zahlungen investiert, weitere 21 Prozent in Garantiezertifikaten, die mindestens die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zusichern.
Auch Aktien sind Privatkunden als volatile Anlagemöglichkeit offenbar nur schwer zu vermitteln. Die Zahl der Aktionäre in Deutschland nimmt ab, auch im zweiten Halbjahr 2010 kehrten fast eine halbe Million Menschen Aktien und Aktienfonds den Rücken, wie das Deutsche Aktieninstitut ermittelt hat. Damit ging die Zahl der Anleger, die direkt oder indirekt in Aktien investiert haben, auf rund 8,2 Millionen zurück. In Zeiten des Börsenbooms 2001 lag sie noch bei 13 Millionen. Ziegler kann dies nicht nachvollziehen. „Finanzdienstleister müssen den Kunden vermitteln, dass Aktienfonds in jedes Portfolio gehören und sich langfristig auszahlen – also bei einem 30-Jahres-Horizont, den jede Altersvorsorgestrategie haben sollte.“ Auch NewMark- Geschäftsführer Josef Schießl stimmt zu: „Die Geschichte, die man erzählen muss, ist: Aktienbasierte Produkte sind Deine einzige Chance, am Erfolg und Wachstum der Deutschland-AG zu partizipieren. Ausländische Investoren sehen die Erfolgsgeschichte und greifen längst zu.“

Problem „Bankensprech“
Von Kommunikationsexperten für ihre Transparenz gelobt werden Investmentfonds. Diese „haben in den vergangenen Jahren sicherlich die größten Fortschritte gezeigt und bieten ein sehr hohes Maß an Transparenz“, sagtt Böhme. Inhalt, Kosten und Performance werden regelmäßig berichtet, teilweise auf Wochenbasis. „Das sind fast mehr Informationen als ein Normalanleger eigentlich sinnvoll für eine Anlageentscheidung verarbeiten kann“, fügt er hinzu. Die Lloyd Fonds AG, beraten von der Hamburger Agentur redRobin, bietet Informationen über Fonds seit Jahresbeginn auch auf einer für Smartphones optimierten mobilen Webseite an, inklusive „Produktinformationsblatt“.
Dieses standardisierte Info-Blatt, auch als „Beipackzettel“ bekannt, ist der neue Branchenstandard für die Kommunikation von „Risiken und Nebenwirkungen“. Ab Juli ist es gesetzlich vorgeschrieben und soll Produkte vor allem vergleichbarer machen. Verbraucher wollen aber noch transparenter in- formiert werden, hat die Unternehmensberatung Batten & Company im Herbst 2010 herausgefunden. Auch die Kommunikationsberater von Fakten- kontor und die Marktforscher von Toluna wollten wissen, wie viele der von ihnen Befragten die Beipackzettel-Infos verstehen konnten. Das Ergebnis: 36 Prozent. Und mehr als 60 Prozent haben in den vergangenen Jahren vom Kauf mindestens eines Finanzprodukts Abstand genommen, weil sie die Produktinformationen unverständlich fanden.
Der Kommunikationsforscher Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim hat die Verständlichkeit von Bankunterlagen wie Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Pressemitteilungen untersucht und mit Dissertationen sowie der „Bild-Zeitung“ verglichen. Auf einer Skala von 0 (unverständlich) bis 20 Punkten (maximal verständlich) erreichten die Bankunterlagen knapp zehn Punkte. Die mancher Banken lagen mit rund fünf Punkten sogar auf dem Niveau einer Doktorarbeit. Die „Bild-Zeitung“ kommt in dieser Skala auf knapp 17 Punkte. Auffällig sei, teilte Brettschneider mit, dass die Gruppe der Sparkassen und Volksbanken besser als die der Privatbanken abgeschnitten hat. Als Reaktion auf diese Studie ruft die alternative GLS-Bank auf ihrem Blog Kunden dazu auf, der Bank eine Rückmeldung zu geben, wenn sie in ihren Unterlagen „Bankensprech“ entdecken. Die Ergo-Versicherung verkündete im März Ergebnisse ihrer „Klartext-Initiative“. Dazu zählt, dass Ergo ihre Kommunikation nach Brettschneiders Verständlichkeitskriterien überprüft.
Einzelne Institute wie die Deutsche Bank, ING Diba oder die Targobank beschreiten andere Wege und versuchen, in ihrer Produktkommunikation über den Branchenstandard des „Beipackzettels“ hinauszugehen, indem sie Informationen visuali-sieren. Die Targobank-Finanzampeln „signalisieren den Lesern auf einen Blick, ob ein Produkt für das jeweilige Anlageziel geeignet ist, oder nicht“, erläutert Pressesprecher Peter Herkenhoff das 2010 eingeführte Konzept. Bei Kommunikationsexperten stoßen diese plakativen Darstellungsformen jedoch auf ein geteiltes Echo. „Um ein Risiko zu kommunizieren, muss man etwas mehr ins Detail gehen“, sagt Alfons Niederländer. NewMark-Geschäftsführer Schießl hält „allzu einfache Darstellungen“ wie etwa die „Ampel“ gar für „das Gegenteil von transparent“. Ziegler hingegen findet die Visualisierung sinnvoll, weil seiner Ansicht nach die Kunden zu ausführliche Informationen schlichtweg ignorierten.
In ein ähnliches Horn bläst Mark Ortmann, Geschäftsführer des ITA – Institut für Transparenz in der Altersvorsorge. Die HUK Coburg etwa habe sämtliche sprachlichen Transparenzkriterien bei der Überarbeitung ihrer neuen Hausratbedingungen beachtet. Doch wer liest 24 Seiten, um das Produkt zu verstehen? „Transparenz bedingt die extreme Vereinfachung des Produkts“, unterstreicht Ortmann. „Das erfordert den Mut, nicht nur jeden Satz, sondern das gesamte Produkt mit Blick auf den Kunden zu hinterfragen.“ Die Reduzierung der Komplexität sei der notwendige erste Schritt zur Entwicklung eines transparenten Produkts, betont er. Erst dann können die Texte und Beschreibungen in einer einfachen Sprache formuliert werden.
Doch für Ziegler sind die Produktinformationen ohnehin nicht der entscheidende Hebel in der Kommunikation mit den Kunden. „Wenn Finanzdienstleister ihre Produkte in den Vordergrund stellen, werden sie die Kunden nicht erreichen“, sagt er. „Die schalten ab.“ Finanzwissen müsse entsprechend der Kundenbedürfnisse in verschiedenen Lebenslagen emotional ansprechend, auf Augenhöhe und niedrigschwellig kommuniziert werden, damit die Branche für die Kunden wieder relevanter werde.

Herausforderung Social Media
Ist Social Media das perfekte Tool für die Finanzbranche, um den unmittelbaren Kontakt zum Kunden zu suchen? „Momentan klaffen Hoffnung und Realität der Social Media-Präsenzen noch weit auseinander“, urteilt Schießl. Stockheim Media-Chef Böhme sieht für das aktuelle Geschäft ebenfalls noch wenig konkrete Chancen. Für die Empfehlung von Finanzprodukten oder Produzenten spielen Social Media-Kanäle derzeit kaum eine Rolle, haben auch die Forscher von YouGovPsychonomics im Februar herausgefunden. Das persönliche Gespräch oder E-Mails seien derzeit noch nicht zu ersetzen. Im vergangenen Jahr hat Faktenkontor ermittelt, dass sich 76 Prozent der deutschen Bankkunden nicht vorstellen können, mit ihrem Finanzinstitut künftig über Social Media-Kanäle wie Twitter oder Facebook zu kommunizieren. Dies entspricht in etwa dem Anteil der Bankkunden, die noch gar nicht in der Social Media-Welt angekommen sind: Auf 18 Prozent beziffert eine im Mai veröffentlichte Studie der Deutsche Bank Research den durchschnittlichen Anteil dieser Kunden.
Die Deutsche Bank verkündete Ende April, ihr 2.0-Angebot weiter aufzurüsten und eine eigene internationale Social Media-Unit aufzubauen. Gleichzeitig haben – vergleichsweise winzige – alternative Banken wie die GLS Bank derzeit noch mehr Facebook-Freunde als Ackermanns Branchenriese mit seinen knapp über 3.000 Freunden. Doch selbst in den Social Media-affinen USA „freunden“ die Kunden nur ungern Finanzinstitute, hat Deutsche Bank Research im Mai herausgefunden. Die Meisten suchen handfeste Vorteile, also spezielle Angebote.
Über die Branche wird aber auf Social Media- Kanälen bereits fleißig diskutiert. Laut einer Studie der Online-Marketing-Agentur Zieltraffic finden 70 Prozent der Berichterstattung und Diskussionen über Banken im Netz und über Social Media-Kanäle wie Blogs und Social Networks statt. Wer sich in diese Diskussionen einschalte, habe die Chance, sein Image mit zu prägen. „Die Herausforderung bei Social Media liegt darin, den Zug nicht zu verpassen“, sagt Böhme.
Ein strukturelles Problem für Banken im Social Web sieht Glänzel. Diese müssten sich in ihrer Kommunikation aus rechtlichen Gründen oft intern absichern, vor allem wenn es um kursrelevante Informationen geht. „Das Antwortverhalten wird bei sensiblen Themen nie befriedigend sein, die Res-ponse-Zeit zu lang“, gibt er zu bedenken. Ziegler hingegen hält diese Frage für zweitrangig und schätzt die mangelnde Dialogbereitschaft der User als das größere Problem ein. Es bedeute einen enormen Aufwand, in diesen Kanälen Diskussionen in Gang zu bringen. „Auch wer sich aus Angst vor einem Bashing durch die Social Media-Nutzer fernhält, liegt falsch“, sagt er. „Etwas besseres kann der Finanzbranche doch gar nicht passieren, als dass sich die Menschen mit ihr beschäftigen.“

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