Gute Aussichten
Polen hat sich zu einem attraktiven Standort für Unternehmen und Großevents gemausert. PR-Arbeiter erwarten lukrative Aufträge – und sollten sensibel bleiben. Von Chan Sidki-Lundius
So nah und doch so fern! Obwohl Polen zu den direkten Nachbarn Deutschlands zählt, ist vielen Bundesbürgern das siebtgrößte Land Europas mit seinen etwa 38 Millionen Einwohnern so fremd wie Paraguay oder Panama. Das soll sich ändern. Polen ist das Partnerland der diesjährigen ITB. Die Reisemesse findet vom 9. bis 13. März in Berlin statt. Unter dem Motto „Move your Imagination“ präsentiert sich Polen mit moderner 3D-Technologie, Filmvorführungen und Comic-Figuren als „kreatives und interessantes Reiseziel in Europa mit außergewöhnlicher Kultur- und Naturvielfalt“. Zentrales Element der Imagekampagne: ein weißer Würfel, mit dem die Polnische Organisation für Tourismus und ihre Agentur MD Network die Offenheit und Zugänglichkeit Polens symbolisieren wollen.
Außer der ITB stehen für Polen zwei weitere große Ereignisse an: Ab Juli die EU-Ratspräsidentschaft und 2012 die Fußball-Europameisterschaft. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Umfeld dieser Events soll Polen nicht nur bekannter machen, sondern dient auch der Stärkung der polnischen Wirtschaft. Das Land hat sich mit Beginn des marktwirtschaftlichen Umbaus 1989/1990 gegenüber ausländischen Investoren geöffnet. Heute lockt Polen mit gut ausgebildeten Arbeitskräften und vergleichsweise niedrigen Löhnen, einem großen Binnenmarkt sowie 14 Sonderwirtschaftszonen. Deutschland liegt bei den ausländischen Großinvestitionen in Polen auf Platz zwei und stellt obendrein die größte Zahl der dort ansässigen ausländischen Unternehmen.
Auftraggeber öffentliche Hand
Von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitieren auch die PR-Agenturen in Polen. Das erwartet Anna Hahn-Leśniewska, Client Service Director von Partner of Promotion, einer der größten Agenturen Polens. „Wir gehen davon aus, dass insbesondere die Zahl der Aufträge aus dem öffentlichen Bereich stark zunehmen wird. Das liegt vor allem an den vielen von der Europäischen Union ko-finanzierten Projekten, die in der nächsten Zeit anstehen“, sagt sie. Im übrigen sei der vergleichsweise junge polnische PR-Markt deutlich von Wachstum geprägt, erläutert Leśniewska. So hätten viele polnische Agenturen in den letzten beiden Jahren deutlich zunehmende Honorarumsätze verzeichnen können. Viele Agenturen sind Partner großer, internationaler Agentur-Netzwerke. Nachgefragt werden vor allem Dienstleistungen und Maßnahmen, die sich an externe Zielgruppen und speziell an die Presse richten. Auch interne PR gewinne zunehmend an Bedeutung. Im Kommen sei ferner – wie überall in der Welt – das große Thema „Social Media”, sagt Leśniewska.
Journalisten mögen’s persönlich
Die meisten polnischen Agenturen, aber auch alle wichtigen Medien, haben ihren Sitz in Warschau. Daneben gibt es zahlreiche Agenturen in Krakau, Wroclaw (Breslau) und auch in Poznán (Posen), wo im Februar die Hallenhockey-WM stattfand.
Einer, der sich in unserem Nachbarland gut auskennt, ist Jörg Lammers, Pressesprecher der 1&1 Internet AG. Das Unternehmen hat im August in Polen eine Gesellschaft gegründet. Wohl wissend, dass derzeit gerade einmal 50 Prozent der polnischen Unternehmen einen eigenen Webauftritt haben, bietet 1&1 seinen Kunden „Lösungen für den Geschäftserfolg im Internet“ an. Dazu gehören Homepage- und Serverpakete ebenso wie E-Shops und Online-Marketing-Lösungen. In Polen arbeitet 1&1 mit der Agentur Fleishman-Hillard zusammen. „Da wir die PR für den Markteintritt von Deutschland aus steuern, haben wir eine Partneragentur vor Ort engagiert, die mit ihrem Länder-Know-how die Press-Office-Funktion übernimmt“, sagt Lammers. Mit polnischen Journalisten hat der Pressesprecher bereits viele Erfahrungen gemacht. Sie würden zum Beispiel persönliche Kontakte Telefoninterviews vorziehen. „Darüber hinaus gibt es eine Vorliebe für polnischsprachige PR-Praktiker. Aber da die meisten Journalisten gut Englisch sprechen, ist das Beherrschen der polnischen Sprache keine zwingende Voraussetzung, um gut mit ihnen klar zu kommen“, hat Lammers beobachtet. Und: Die polnische Presse messe ihr Land gern an anderen europäischen Ländern. Durch diese starke Faktenorientierung gäbe es eine große Offenheit für Expertengespräche und Redaktionsbesuche, so Lammers. Anders als in Deutschland sei es jedoch ungewöhnlich, eine Pressemeldung zeitgleich zur Pressekonferenz zu versenden, sondern abzuwarten, bis die Journalisten wieder an ihre Schreibtische zurückgekehrt seien.
Außerdem sei es in Polen nicht üblich, Zitate abzustimmen. „Wenn man Interviews zur Abstimmung erhält, was mit ein wenig Überredungskunst gelingen kann, sollte man sehr sparsam redigieren, am besten nur Zahlen und Fakten prüfen. Die in Deutschland weit verbreitete Kunst des Neuschreibens ganzer Passagen kann mit einer Rückkehr zur ursprünglichen Fassung quittiert werden“, sagt Lammers. Insofern ist Polen für Manager und Pressesprecher ein gutes Übungsfeld, was das druckreife Sprechen angeht. Das sensible Abstimmungsprozedere impliziert allerdings auch, dass „Off-the- record“-Informationen besser unterbleiben sollten. Dennoch, so fasst Anna Hahn-Leśniewska zusammen, seien die polnischen Medien grundsätzlich offen für die Belange professionell agierender, glaubwürdiger Öffentlichkeitsarbeiter. „Auch polnische Journalisten wünschen sich objektive und zielgruppengerichtete Presseinformationen mit hohem Nachrichtenwert. Mit allzu Marketing-orientierten, werblichen News können sie, wie auch ihre Kollegen aus anderen Ländern, nichts anfangen.“
Noch ganz am Anfang steht in Polen das Thema Erfolgskontrolle: Darin stimmen polnische PR- Insider überein. Vorhandene Tools sind (noch) relativ teuer. Zudem gibt es (noch) keine Standards, an denen man sich orientieren kann, daher dominiert vielerorts die Erstellung von Clippings.
PR-Nachwuchs macht keine Sorgen
Aktuell ist für die meisten Unternehmen, die sich in Polen engagieren, Print der wichtigste Medienkanal. Zu den auflagenstärksten Zeitungen gehört die linksliberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, die 1989 als Organ der Freiheitsbewegung „Solidarność“ eines der ersten freien Blätter in Polen war. Mit Verkaufszahlen von weit mehr als 300.000 Exemplaren ist sie die meistgelesene Qualitätszeitung. Die höchsten Verkaufszahlen bei den Tageszeitungen verbucht der Axel Springer-Verlag mit dem Boulevardblatt „Fakt,“ von dem täglich rund 470.000 Exemplare über den Ladentisch gehen. Die Verlagsgruppe Passau beherrscht unter anderem mit der Tageszeitung „Polska“ den lokalen Blätterwald.
Und welche Chancen hat der Nachwuchs auf dem polnischen PR-Markt? „Da tut sich einiges“, resümiert Anna Hahn-Leśniewska von Partner of Promotion. „Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Praktikern wird bereits vielfach praktiziert.“ Gesucht seien vor allem Berater mit Erfahrung – insbesondere für die mittleren Führungs-ebenen. Englisch- und Deutschkenntnisse werden infolge der steigenden Nachfrage aus dem Ausland meistens vorausgesetzt.
Foto: Polnische Organisation für Tourismus