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17.03.2011   News
Gewalt im Dienst
 
In Deutschland wurde 2009 gegen 2.980 Polizeibeamte ermittelt – meist wegen Gewalt und Misshandlungen im Amt. Amnesty International Deutschland hat das Tabuthema in eine integrierte Aufklärungskampagne eingebettet.
Die Schläge trafen sie auf Knie, Handgelenk und den Kopf. Den hatte die 27-jährige Fotografin zwar vorsorglich mit einem Helm geschützt und sich mit einer Armbinde als Journalistin kenntlich gemacht. Vom brutalen Vorgehen der Polizeibeamten gegenüber Demonstranten und Medienvertretern am Rande des G8-Gipfels im Juni 2007 wurde sie trotzdem überrascht.
Diesen wie 14 weitere Fälle polizeilicher Gewalt hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Deutschland in ihrem Bericht „Täter unbekannt“ über mutmaßliche Misshandlungen durch die deutsche Polizei dokumentiert. Die Präsentation des 120 Seiten starken Berichts im Juli in Berlin war zugleich Auftakt einer Kampagne zu „Mehr Verantwortung bei der Polizei“. Die Kernbotschaft „Transparenz schützt Menschenrechte“ zielte auf die strukturelle Verbesserung der Polizeiarbeit. Seit Jahren fordert Amnesty eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten, unabhängige Aufklärung von Polizeiübergriffen, Aufzeichnung von Vorgängen in Polizeigewahrsam und Menschenrechtsbildung für Beamte.
Der Ton gegenüber Amnesty sei umgänglicher geworden, so die Organisatoren. 2004 nach der Veröffentlichung des letzten Amnesty-Polizeiberichts hatte der Chef der Polizei-Gewerkschaft Konrad Freiberg gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert: „Amnesty sollte lieber einen Bericht über Polizeibeamte als Opfer verfassen.“
Dass eine unangemessen harte Gewaltanwendung durch Gesetzeshüter in Deutschland nicht üblich ist, aber vorkommt, haben zuletzt die Einsätze rund um das Bahnprojekt Stuttgart 21 gezeigt.
Mit der Konzeption, dem Design und der Kommunikationsstrategie der Kampagne betraute Amnesty die Berliner Agentur Kornberger und Partner. Sie folgt dem „Organizing“-Prinzip, das auf Beteiligung, Konflikt und starke Medienbilder setzt. Herzstück der Kampagne war deshalb außer der Website www. amnesty.de/polizei eine Serie von Guerilla-Installationen im öffentlichen Raum: Gelbes Flatterband mit dem Schriftzug „Täter unbekannt“ begrenzte reale Tatorte unaufgeklärter Polizeigewalt in Berlin. Die Kombination virtueller und realer Elemente sollte aus passiven Mediennutzern aktive Multiplikatoren machen. Sie konnten etwa die Auftaktpressekonferenz als Livestream verfolgen und über eine Facebook-App kommentieren, an einer virtuellen Demonstration teilnehmen und eine Petition an den Bundesinnenminister unterzeichnen.
Bis heute beteiligten sich fast 12.000 Menschen an der Online- Demonstration für die Forderungen von Amnesty. Mehr als 11.900 Menschen unterstützen die Kampagne auf Facebook, rund 1.000 folgen ihr auf Twitter. Der Kampagnen-Spot wurde 45.000 Mal auf Youtube aufgerufen und ist nach Angaben der Agentur an 4.500 Stellen im Netz verlinkt und in rund 200 Blogs eingebunden.
Amnesty begleitete die virale Verbreitung des Themas mit klassischer PR-Arbeit. Leitmedien und regionale Presse griffen die Materie vor allem über die Schilderung individueller Fälle von Polizeigewalt auf. Kornberger und Partner ermittelte eine Gesamtreichweite von rund 47 Millionen Nutzern.
Lobbyarbeit und strategische Allianzen wie mit dem Deutschen Anwaltverein verstärkten den Druck auf politische Entscheidungsträger. Rund 14.000 Menschen unterstützten die Petition und Mail-Aktionen an politisch Verantwortliche.
Das trug zum bislang größten Erfolg der Kampagne bei: Von diesem Jahr an müssen Polizisten in Berlin ein Namensschild oder eine fünfstellige Nummer sichtbar auf der Uniform tragen. Davon erhofft sich Amnesty eine häufigere und raschere Aufklärung polizeilicher Übergriffe.
Darauf hat die Fotografin von Heiligendamm vergeblich gewartet. Noch am Tag der Auseinandersetzung hatte sie Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt gestellt. Was folgte, waren zähe Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Als sie am 3. März 2010 endgültig eingestellt wurden, hatte die Fotografin das Vertrauen in den Rechtsstaat längst verloren.(bb)
Foto: Amnesty International

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