Please wait...
News / Sisyphusarbeit
17.03.2011   News
Sisyphusarbeit
 
Der PR-Beruf leidet nicht nur unter seinem schlechten Ansehen, sondern krankt auch an einer verfahrenen Debatte über Moral und Anstand. Für einen Neustart der PR-Ethik in Deutschland bereitet der PR-Rat ein modernes Regelwerk vor. Von Birte Bühnen

„Allein der Begriff ,Ethik‘ ruft bei einigen Menschen Abwehrreaktionen hervor“, sagt Günter Bentele. Seit Jahrzehnten forscht der Professor für Öffentlichkeitsarbeit und PR an der Universität Leipzig unter anderem zu PR-Ethik. Weniger attraktiv kann ein Thema kaum sein. Umso schlimmer, dass üblicherweise Anstand und Moral als Maßstab für das Image einer Person, einer Organisation oder eines ganzen Berufsstands angelegt werden.
Das gilt auch für die PR, die bekanntlich keinen guten Ruf hat. Dabei bemüht sich der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) seit 1987 um die Einhaltung international vereinbarter Standesregeln. Sein Erfolg ist mäßig, verweist man auf die rund 30 Prozent der in Deutschland tätigen PR-Fachleute, die den DRPR nicht kennen. 45 Prozent wissen weder vom Code d’Athènes (von 1965) noch vom Code de Lisbonne (1978), obwohl beide Kodizes mit den sieben Selbstverpflichtungen der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) den Kern der PR-Berufsethik bilden. Bentele, seit 1994 Mitglied des PR-Rats, hat dazu 2009 mehr als 2.200 Fragebögen ausgewertet. Im Vergleich zu zwei früheren Umfragen zeigt sich zwar, dass die Kodizes bekannter werden, nur 13 Prozent der Befragten kennen sie jedoch gut.

Gegenüber PR hoch sensibilisiert
Selbst Affären wie die um verdeckte Zuwendungen des PR-Beraters Moritz Hunzinger an Rudolf Scharping (SPD) haben wenig Einfluss auf die geltenden Regeln der deutschen PR-Ethik gehabt. „Hunzingers Verhalten war eindeutig unethisch, aber die Selbstkontrolle durch den DRPR hat funktioniert“, sagt Rupert Ahrens, geschäftsführender Gesellschafter der Agentur A&B One und von 1998 bis 2004 Präsident des Agenturverbandes GPRA. Die Hunzinger-Affäre zwang Scharping, im Juli 2002 als Bundesverteidigungsminister zurückzutreten. Im Zuge der Berichterstattung prüften die Medien auch die Moral „auf der anderen Seite des Schreibtisches“. Ahrens ist überzeugt: „Journalisten sind bezogen auf PR hoch sensibilisiert. Das ist auch gut so.“
Bentele hält es für eine Sisyphusarbeit, das Bild, das Journalisten von PR-Beratern entworfen haben, mit Hilfe einer ethischen Grundsatzdiskussion verändern zu wollen. Journalisten berichten bevorzugt über das Unerhörte, das von der Norm Abweichende – und damit auch über die Schwarzen Schafe der PR, über die Ankershoffens und Dumonts, über ihre Blogbeiträge und Pseudonyme. Das hat Folgen für das öffentliche Bild von PR. Anders als bei anderen Berufen prägen die Medien nach Benteles Einschätzung zu 90 Prozent das, was Menschen über PR wissen, wenn sie sich nicht professionell mit Kommunikation beschäftigen. Die überwiegend negative Berichterstattung zu einzelnen Verfehlungen beeinträchtigt das öffentliche Bild der gesamten Branche.

Neuer PR-Kodex in Sicht
Führt der Weg zu einem besseren Image nicht über die Medien, muss die PR-Zunft selbst aktiv werden. Doch die Resonanz innerhalb der Branche ist ernüchternd. Zuletzt hatte immerhin der Entwurf der Ratsrichtlinie zu „PR in digitalen Medien und Netzwerken“ im April für eine kurzlebige Diskussion unter einer Hand voll Web 2.0-affiner PR-ler gesorgt. Die Social Media bewirken allerdings keine umwälzenden Veränderungen in der PR-Ethik. Davon gehen zumindest die PR-Experten aus, die Anfang Dezember an einer vom Verein der PR-Studierenden Hannover organisierten Podiumsdiskussion teilnahmen.
Eine ähnlich schwache Reaktion erwartet Günter Bentele, wenn der DRPR einen neuen PR-Kodex vorstellt. Eine vorläufige Fassung will der Rat im Laufe dieses Jahres öffentlich diskutieren lassen. Das Konzept dazu entwickeln Bentele und eine „Task Force“ an der Universität Leipzig seit rund einem Jahr. Es sieht vor, die bestehenden Kodizes mit den sieben DRPR-Richtlinien zusammenzuführen, sie sprachlich zu überarbeiten und zu vereinheitlichen. Davon erhofft sich der Rat eine bessere Entscheidungshilfe für die tägliche Praxis. Bentele spricht in diesem Zusammenhang von einem Konzept der „funktionierenden PR-Ethik“. Als positives Beispiel nennt er den Pressekodex, der sowohl abstrakte als auch praktische Inhalte miteinander verknüpfe.

Ein „Drei-Klassen-System“
Die bislang größte branchenweite Diskussion zur Ethik der PR hat Klaus Merten 2006 durch seine These losgetreten, PR habe die Lizenz zum Täuschen. Zwei Jahre später missbilligte der DRPR diese Äußerung öffentlich. Der emeritierte Professor für Kommunikationsforschung ist skeptisch, was die Wirksamkeit dieses modernen PR-Kodexes angeht. In einem jüngst publizierten Offenen Brief verweist Merten auf eine unveröffentlichte Inhaltsanalyse der rund 100 Sprüche des DRPR. Merten kommt darin zu dem Schluss, dass der Rat bei seinen Entscheidungen einem „Drei-Klassen-System“ folgt. Daran werde wohl auch ein neuer Kodex wenig ändern.
Das Ergebnis seiner Analyse gleicht der mittelalterlichen Ständeordnung, die den Klerus, den Adel und die Bürger voneinander trennte und ihnen unterschiedliche Rechte zuwies. Mertens Auswertung zufolge werden mögliche Verfehlungen prominenter Branchenvertreter möglichst nicht verhandelt, zumal, wenn sie Funktionen für die wichtigen Berufsverbände erfüllen. Personen und Institutionen mittlerer Bekanntheit respektive Verbandsmitglieder mahne der Rat oder spreche sie frei. Diejenigen, die keinem Berufsverband angehörten oder unbekannt seien, würden vermehrt gerügt. Als Beispiel führt Merten den Fall der PR-Beraterin Astrid Nelke an. Sie hatte verschiedenen Medien zum Thema frühkindliche Bildung Interviews gegeben. Dabei soll sie verschwiegen haben, für eine der erwähnten Initiativen die Pressearbeit gemacht zu haben. Der Rat sprach gegen die „PR-Frau und Mutter“ Ende November wegen verdeckter PR eine Rüge aus. Merten hält das für eine unprofessionelle und diskriminierende Spitze, die dem Ansehen der PR nicht gut tue. Mitte Januar änderte der Rat die Überschrift der betreffenden Pressemitteilung.

Der Rat lobt sich selbst
Die Medien bleiben von den Sprüchen des DRPR indes unbeeindruckt. Bernd Hilder, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“ und Sprecher des Deutschen Presserats, nimmt die Entscheidungen des PR-Rats meist nur am Rande über Mediendienste oder Fachpublikationen wahr. Obwohl die Zahl der Ratssprüche seit 2006 sprunghaft angestiegen ist (siehe Übersicht Seite 14), werde nicht häufiger oder positiver über PR berichtet. Aber auch die Versuche von Unternehmen, über PR-Agenturen Einfluss auf die Berichterstattung auszuüben, hätten nicht weiter zugenommen. Es seien sogar weniger PR-Artikel zum Abdruck angeboten worden als noch vor einigen Jahren, ist Hilders Eindruck. „Trotz der gestiegenen Arbeitsbelastung behalten die meisten Journalisten die professionelle Distanz bei und begegnen solchen Angeboten mit der nötigen Skepsis“, meint der Chefredakteur.
Richard Gaul, Vorsitzender des DRPR, führt die rückläufige Zahl der Vereinnahmungsversuche durch PR auf die professionelle Arbeit seines Gremiums zurück. Zwischen 2005 und 2008 hatte sich der Rat intensiv mit Verstößen gegen Schleichwerbung in den Medien beschäftigt, danach vorwiegend um Fälle verdeckter PR. „Unsere Arbeit hat die Menschen nicht nur sensibler für richtiges und falsches Verhalten gemacht. Auch der Rat ist als Beschwerdestelle bekannter geworden“, begründet Gaul die immer häufiger erteilten Rügen, Mahnungen und Freisprüche in den vergangenen fünf Jahren.
Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), bemerkt, dass die Lage insgesamt undurchsichtiger geworden sei. „Die Art, mit der PR-Agenturen und Unternehmen Journalisten für sich einnehmen wollen, ist subtiler geworden“, konstatiert Zörner. Dadurch sei der PR-Rat gezwungen, die Beschwerden eingehend zu prüfen und nicht von vornherein als irrelevant abzulehnen. Die Versteckspiele haben Agenturen nach Zörners Ansicht nicht nötig. Vielen Journalisten sei die Bedeutung von PR für ihre Arbeit längst klar: Ohne die verlässliche Zusammenarbeit mit Pressestellen ist zum Beispiel eine zeitnahe Berichterstattung oft nicht möglich. Das zeigt auch eine Langzeitstudie des com.X Instituts aus Bochum. Demnach bestätigten 86 Prozent der Medienvertreter die Aussage, dass professionelle PR Journalisten dabei unterstütze, effizient zu arbeiten. Allerdings sind auch mehr als drei Viertel der Ansicht, PR erschwere es Journalisten, sich „ein ungeschminktes Bild von einem Unternehmen machen zu können“.
Für die wachsende Bekanntheit des Rats dürfte nicht allein seine Spruchpraxis gesorgt haben. Hinzu kommt die Professionalisierung der PR-Ausbildung. Alle relevanten Studien- und Ausbildungsgänge der PR haben das Thema Ethik in ihre Lehrpläne integriert. Der private Anbieter für Aus- und Weiterbildung PR Plus aus Heidelberg verschickt beispielsweise, wie das Deutsche Institut für Public Relations auch, einen Studienbrief zu „Ethik der PR“. Das Institut für Kommunikationsmanagement in Lingen bietet im Rahmen eines Masterprogramms ein sechsstündiges Modul zu „Recht und Ethik des Kommunikationsmanagements“ an. Und die Münchner Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation wird im Wintersemester ein eigenes Pflichtfach „Ethik in der PR“ in ihr neues Bachelorprogramm mit Schwerpunkt PR und Kommunikationsmanagement aufnehmen.

Ethik ist in der Ausbildung angekommen
Das Interesse der Studierenden reicht von „hoch engagiert“ bis „mäßig“. Wiebke Möhring, Professorin für Öffentliche Kommunikation an der Fachhochschule Hannover, fällt auf, dass „die Relevanz berufsethischer Fragen nach der Praxisphase größer ist, den Studierenden gleichzeitig die Schere zwischen Kodizes und Praxishandeln auffällt“. Lars Rademacher, Studienleiter an der Macromedia, sieht deshalb wie Günter Bentele vor allem die PR-Ausbilder in der Pflicht, ethische Zusammenhänge zu erläutern und dadurch indirekt das Ansehen der PR zu verbessern. Seiner Meinung nach verlange PR zu viel vom journalistischen System in punkto Imageverbesserung. Auch A&B One-Chef Ahrens ist überzeugt: „Es widerspricht dem journalistischen Selbstverständnis, öffentlich anerkennend über PR zu berichten.“ Damit scheidet eine Imagekampagne zur Attraktivitätssteigerung von PR und Ethik als Lösungsansatz aus zwei Gründen aus: Wenn eine PR-Kampagne gut konzipiert ist, suchen die Journalisten der Medienlogik von „bad news is good news“ folgend so lange, bis sie ein Haar in der Suppe gefunden haben. Ist die Kampagne hingegen schlecht gemacht, wird sie von den Medien ohnehin zerrissen.

Kleine Schritte oder Generalamnestie?
DRPR-Vorsitzender Gaul geht deshalb lieber kleine Schritte. Er nimmt jede Gelegenheit wahr, vor Journalisten über die Arbeit des Rats zu sprechen, und empfiehlt Unternehmen und Agenturen, Kodizes und Selbstverpflichtungen in ihre Dienstverträge aufzunehmen. Künftig sollen zudem die Trägerverbände des DRPR verstärkt darauf achten, dem Rat im Rahmen ihrer Veranstaltungen mehr Raum für Präsentationen und Themensetzung zu geben – wie zum Beispiel auf dem 1. DPRG-Forum zu „Werte wirken“ in München Mitte November geschehen.
Klaus Merten geht das nicht weit genug. Er schlägt im Sinne einer „Selbstaufräumung“ vor, PR-Ethik aus den Lehrplänen zu streichen und PR-Sündern eine Generalamnestie zu erteilen. Auf einem anschließenden Ethikkongress sollten PR-Praktiker und Journalisten gemeinsam über neue Ansätze der Zusammenarbeit diskutieren.
Der Praktiker Rupert Ahrens hält hingegen die Förderung einer Debattenkultur für nötig, die über die Grenzen der Kommunikationsbranche hinausreicht. Allein die Einbindung politischer, wirtschaftlicher und weiterer Perspektiven auf Ethik und PR könne das Berufsfeld davor bewahren, allzu selbstbezogen zu argumentieren – oder gar PR selbst zur ethischen Instanz zu stilisieren. „PR bleibt Auftragskommunikation“, resümiert Agenturchef Ahrens. 

Magazin & Werkstatt