Gut gemeint ist nicht genug
Nachhaltigkeit, CSR und Compliance stehen bei den deutschen Unternehmen so hoch im Kurs wie nie. Was aber, wenn Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen? Wer einen Kulturwandel verordnen will, muss einen starken Willen haben. Von Klaus Janke
Auch ein Stefan Heinig, KiK-Geschäftsführer mit ganz dickem Fell, bricht irgendwann ein. Nachdem sich die Skandalberichte über die Personalpolitik des Textildiscounters gehäuft hatten, ließ er Anfang August Besserung geloben: KiK wolle „nun sichere Arbeitsplätze mit Perspektive schaffen“, teilte das Unternehmen mit, zudem werde man sich „völlig neu positionieren und in Zukunft einen konstruktiven Dialog mit der Öffentlichkeit führen“. KiK war zuvor wiederholt wegen Dumping-Löhnen kritisiert worden. Ein ehemaliger Mitarbeiter berichtete, Kollegen seien über ihre finanziellen Verhältnisse ausspioniert und bei schlechter Bonität entlassen worden. Zudem hatte eine NDR-Reportage menschenunwürdige Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Bangladesch aufgedeckt, die für das Unternehmen arbeiten.
Heinig ließ den Worten Taten folgen. Seit Oktober gilt ein Mindestlohn von 7,50 Euro für alle Beschäftigten. Zudem wird das Thema Nachhaltigkeit ganz groß geschrieben: Heinig holte Michael Arretz als neuen Geschäftsführer für Nachhaltigkeitsmanagement und Unternehmenskommunikation an Bord. Der 49-Jährige war zuvor Chef eines Tochterunternehmens der Otto Group, das auf die Organisation nachhaltiger Lieferketten sowie Umwelt- und Sozialmanagement spezialisiert ist und das seit 2007 auch für KiK tätig gewesen ist. Was Arretz konkret ändern wird, ist bislang nicht bekannt. Erst einmal informieren Pressemitteilungen über wohltätige Aktionen: Mit einer „Großspende“ von 200.000 Euro unterstützte KiK zum Beispiel die Arbeit der Hilfsorganisation CARE in den Überschwemmungsgebieten in Pakistan. In Bangladesch half man über eine Abnahmegarantie armen Flickenteppich-Produzenten und spendete den Reinertrag aus einer Million verkaufter Teppiche für Hilfsprojekte.
Zwischenfazit: vorsichtig positiv
Mit vertrauensbildenden Personalien reagierte auch Lidl auf Skandalberichte: Nachdem 2008 die Bespitzelung der Mitarbeiter mit Videokameras und durch Detektive bekannt geworden war, engagierte man den früheren Bundesbeauftragten für Datenschutz, Joachim Jacob, und den ehemaligen Daimler-Datenschützer Alfred Büllesbach, um mit ihnen ein neues Sicherheitskonzept zu erarbeiten. Auf Videotechnik wird seitdem laut Lidl-Sprecher Stephan Krückel komplett verzichtet. Die Verpflichtung der renommierten Fachleute war offenbar mehr als eine kurzfristige PR-Maßnahme, da sie weiterhin beratend zur Verfügung stünden, so Krückel. Und: „Lidl schuf zwischenzeitlich eine interne Datenschutzorganisation, die sich auf sämtliche Unternehmensbereiche erstreckt“, sagt Krückel. „Ein flankierendes Schulungs- und Informationskonzept stellt sicher, dass die in allen Regionalgesellschaften und den Dienstleistungsbereichen etablierten Datenschutzbeauftragten stets auf dem neuesten Informationsstand gehalten werden, sich gegenseitig austauschen und von ihren Erfahrungen profitieren können.“ Auch darüber hinaus scheint bei Lidl Tauwetter einzusetzen: Im Februar 2010 forderte Lidl-Aufsichtsratschef Klaus Gehrig sogar einen gesetzlichen Mindestlohn für Beschäftigte im Handel.
Aber machen die beiden Discounter wirklich ernst? Das Zwischenfazit fällt vorsichtig positiv aus: „Es sieht ganz danach aus, dass sich bei KiK nun wirklich etwas bewegt“, sagt Verdi-Sprecherin Cornelia Haß. „Und die Motivation dazu kommt allem Anschein nach nicht vom Mutterunternehmen Tengelmann, sondern aus der KiK-Zentrale selbst. Michael Arretz ist offenbar kein Mann, der potemkinsche Dörfer errichten will.“ Auch Lidl „scheint mit seinem versprochenen Kulturwandel jetzt ernst zu machen“, sagt Haß. „Wir sind zuversichtlich, hier im Dialog künftig einiges erreichen zu können.“
Die Weichen neu gestellt hat auch Gerd Becht, Vorstand für Datenschutz, Recht, Compliance und Konzernsicherheit bei der Deutschen Bahn – ein Ressort, das als Reaktion auf das Bekanntwerden der Datenaffäre geschaffen wurde. Im Januar 2009 war aufgeflogen, dass die Bahn ihre Mitarbeiter systematisch ausgespäht hatte. Um in dem Mega-Konzern den Kampf gegen Korruption und andere Rechtsübertretungen wirksam zu organisieren, hat Becht den Apparat gehörig umgekrempelt: Die Compliance-Organisation arbeitet nun präventiv und versucht, die Mitarbeiter im gesamten Konzern über Mitarbeiterzeitungen, Broschüren und Schulungen zu sensibilisieren. Damit sich Präventivarbeit und Ermittlungen nicht ins Gehege kommen, werden letztere nun ausschließlich von der Konzernsicherheit durchgeführt. Diese muss nun strenger beachten, dass Ermittlungserfolge keine Rechtsbrüche entschuldigen. Die Deutsche Bahn habe damit „einen Dogmenwandel in der Frage der Ausrichtung von Compliance durchgemacht“, sagt Sprecher Jens-Oliver Voß. Auch in einem anderen Bereich hat die Deutsche Bahn schnell personelle Konsequenzen gezogen, um einen Neuanfang zu signalisieren: Als im vergangenen Jahr herauskam, dass aus dem Etat der Marketingabteilung Millionensummen für gefälschte Leserbriefe und Blog-Beiträge geflossen waren, musste Ralf Klein-Bölting, Generalbevollmächtigter Konzernmarketing und Kommunika- tion, seinen Hut nehmen. Unter seinem Nachfolger Ulrich Klenke soll der Sumpf nachhaltig trockengelegt werde. „Alle Mitarbeiter innerhalb der Marketingabteilung wurden hier eingehend sensibilisiert“, drückt es Voß aus.
Wille zum Kulturwandel ist unentbehrlich
Auf Strukturen setzt auch Siemens im Rahmen der Korruptionsbekämpfung. Nach dem beispiellosen Schmiergeldskandal 2007 richtete Siemens als erster deutscher Konzern ein Vorstandsressort Recht und Compliance ein. Zudem wurde die Zahl der Compliance-Mitarbeiter deutlich hochgefahren: Waren es 2006 noch rund 80, zählte die Abteilung drei Jahre später bereits 600. Anonym wurden zunächst rund 90.000 Mitarbeiter danach befragt, was sie überhaupt unter Compliance verstehen. Danach setzte eine umfassende interne Schulung mit haarklein – von Angestellten teilweise als zu haarklein – definierten Vorschriften ein. Als „Compliance Monitor“, der Siemens von der amerikanischen Börsenaufsicht SEC verordnet wurde, verpflichtete der Konzern den ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel. Der hat dem Konzern gerade eine weiße Weste bescheinigt: In seinem Bericht an die US-Behörden erklärte Waigel laut „Süddeutscher Zeitung“, Siemens sei „eindeutig auf dem richtigen Weg“, die gesamte Unternehmenskultur habe sich geändert, das interne Compliance-Programm habe sich bewährt. Waigel hat rund 1.600 Beschäftigte befragen lassen, 19.500 Dokumente studiert und Kontrollen und Stichproben durchgeführt. Auch Andreas Novak, bei der Organisation Transparency International Leiter der AG Wirtschaft, sieht die Entwicklung positiv: „Die Bemühungen tragen nach unserer Einschätzung Früchte.“
Die Beispiele zeigen: Ob auf öffentlichen Druck hin oder aus eigenem Antrieb – ein Kulturwandel in den Bereichen Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility oder Compliance lässt sich einleiten, wenn man nur will. Aber dann beginnt die eigentliche Arbeit erst. Und es steht viel auf dem Spiel: Die Öffentlichkeit, angesichts zahlreicher Unternehmensskandale in den Zynismus getrieben, schaut sehr genau hin. Ebenso wie die NGOs, die in der Enttarnung von „Greenwashing“ und anderen Fehltritten bestens trainiert sind. Wenn es die Unter- nehmenslenker also nicht wirklich ernst meinen, scheitern sie meist. Die größere Hürde ist aber nicht der gute Wille, sondern die Kraft, die hehren Absichten unternehmensintern durchzusetzen. Der Weg von der Compliance-Abteilung in der Konzernzentrale hin zum Zuliefer- Unternehmen in Südostasien ist eben sehr weit.
Compliance muss kontrolliert werden
Deshalb liegen Anspruch und Wirklichkeit immer noch weit auseinander. Vor allem beim Thema Nachhaltigkeit hakt es strukturell: „Unsere Studie zum Corporate Sustainability Barometer zeigt, dass Nachhaltigkeit vor allem in den dafür zuständigen Fachabteilungen, in der Geschäftsführung und in der Kommunikation angekommen ist“, berichtet Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement am Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg. „Am seltensten wird das Controlling und das Rechnungswesen erreicht.“ Nachteilig sei auch, wenn die Strategien wie aufgepfropft sind: „Problematisch wird es immer, wenn die Nachhaltigkeitsprojekte nicht ausreichend in das Kerngeschäft, die Strategie und die zentralen Managementsysteme integriert werden und wenn die damit verbundenen Maßnahmen additiv sind, sie also für die Mitarbeiter Mehrarbeit ohne zusätzliche Zeit und Budgets bedeuten.“
Ebenfalls wichtig: eine Überprüfung des Erfolgs. Dies muss beim Thema Nachhaltigkeit durch die Definition von Zielen geschehen, Compliance muss kontrolliert werden. Bei der Deutschen Bahn etwa sind umfangreiche Monitoring- und Auditing-Systeme implementiert. Wer nicht selbst prüfen will oder überhaupt nicht über eine entsprechende Einheit verfügt, kann auf externe Dienstleister zurückgreifen: „Die Nachfrage nach unseren Monitoring-Services steigt“, sagt Clemens Müller-Störr, Geschäftsführer des Tübinger Unternehmens ZfW Compliance Monitor. Sein Team geht in die Unternehmen, befragt die Mitarbeiter und wertet die Daten aus. „Wir schauen, ob die Vorgaben wirklich im Alltag gelebt werden“, sagt Müller-Störr. Dies ist sehr häufig nicht der Fall: „Wir treffen auf völlig isolierte Compliance-Manager.“ Wichtig bei der Umsetzung seien vor allem die Einbeziehung aller Mitarbeiter, die Unterstützung durch das Top-Management und vor allem dessen Bereitschaft, Übeltäter auch zu bestrafen. Müller-Störr ist unter anderem für Unternehmen der Bauindustrie tätig, immer noch die Branche mit der höchsten Korruptionsanfälligkeit.
Und wenn alles geregelt ist – kann ein Unternehmen es schaffen, dauerhaft „besser“ zu handeln? Nein, glaubt Schaltegger: „Konsequentes und durchgängig nachhaltiges Verhalten ist verhältnismäßig selten. Unternehmen sind schließlich keine monolithischen Einheiten, sondern sind soziale Organisationen mit sehr unterschiedlichen Menschen, die unterschiedliche Ziele verfolgen.“ Man kann sich also darauf einstellen, dass sich der Kulturwandel, den viele Unternehmen wünschen, in einem ständigen Reibungsprozess zwischen Vorschriften, Strukturen und Mitarbeitern vollziehen wird, zwei Schritte vor, einer zurück, eine Erfolgsmeldung, eine „bad news“, die Welt ist nicht schwarz-weiß. Deshalb kam auch der von der Bahn geschasste Marketingstratege Ralf Klein-Bölting schnell wieder unter – bei einem Konzern, der bekanntlich viel auf seine Unternehmensethik hält: der Otto Group.