Bilder in Bewegung
Das Internet macht die Medien schneller und bunter – und vor allem bewegter. Kaum eine PR-Kampagne, die etwas auf sich hält, kommt ohne Filmmaterial aus. Clips mit Social-Media-Anbindung sind en vogue, allerdings ist der Imagefilm deswegen noch lange nicht tot. Von Peer Brockhöfer
Tausende von Smarts fahren durch Europas Metropolen. In einem sitzt der Londoner TV-Moderator Pete Nottage. Neben ihm Benjamin Quint, Mitglied des Techno-DJ-Duos Bara Bröst. Zusammen fahren sie durch seine Heimatstadt Berlin. Pete sitzt am Steuer, und Benjamin berichtet über die Musikszene seiner Stadt. Während sie so durch die sonnigen Straßen cruisen, produziert Benjamin mit drum machine und einigem anderen Gerät auf seinen Knien ein paar Beats. Alles sehr cool und szenig – Sonnenbrille und Dreitagebart, der Geruch der Freiheit.
So kann es aussehen, wenn eine Marke eine Video-Kampagne im Netz startet. Denn der Smart ist nicht nur Auto, sondern auch Fernsehstudio. Und zwar das kleinste der Welt. Das sagt zumindest Mirco Völker, seit Anfang dieses Jahres Geschäftsführer von fischerAppelt, tv media in Stuttgart, zuvor Leiter der klassischen Werbung von Mercedes-Benz Pkw.
Fernsehstudio im XS-Format
Dazu wurde das Auto mit Kameras ausgerüstet: Das Innere kann aus nahezu allen Perspektiven gefilmt werden. Mit diesem Smart tourt Nottage durch Europas Großstädte: Rom, Berlin, Paris, London und Barcelona. Auf seinem Beifahrersitz nehmen jeweils Künstler, DJs, Musiker, Designer und andere Kreative oder Kulturschaffende Platz.
Auf www.smart-studio.tv finden sich kontinuierlich neue Road- movies und weiterführende Informationen rund um die urbanen Themen Fashion, Musik und Lifestyle sowie zusätzliches „Best of“- Filmmaterial.
Autobauer vorneweg
Über ein eigenes Facebook-Profil wird die Plattform gezielt mit dem Social Web vernetzt. Die Online-Aktivität wird durch eine Banner- und Facebook-Ad-Kampagne unterstützt. So sollen Dialogmöglichkeiten sowie Raum für User Generated Content geschaffen werden. „Wir haben auch den virtuellen Videoplayer selbst gebaut“, sagt Völker. Das hat mehrere Gründe. Zum einen wollte man kein Youtube- oder Vimeo-Logo im Bildfenster haben, zum anderen lässt sich so ein Player auf die Bedürfnisse einer Kampagne zuschneiden – beispielsweise ein Facebook-Like-Button, die Option, das Video in alle möglichen Social-Networks zu posten oder direkt per Mail zu versenden.
Klar gebe es den klassischen Industrie-Film noch, sagt Völker. Aber der Trend gehe ganz klar in Richtung integrierter Kampagnen.
Es war abzusehen, dass es eine Automobilmarke sein würde, die das Corporate Publishing im Bewegtbild-Format vorantreibt. Schon vor 50 Jahren haben Opel, Volkswagen, BMW, Audi und Mercedes, zu dessen Tochterunternehmen auch Smart gehört, dem Corporate Publishing im Print-Geschäft Auftrieb gegeben – zusammen mit den Krankenkassen, die nach dem Krieg den Bürgern das neue Gesundheitssystem erklären mussten. Das DAK-Mitgliedermagazin, verlegt von Gruner + Jahr Corporate Editors, das AOK-Magazin und ihre Ableger gehören bis heute nicht nur zu den auflagenstärksten Publikationen im deutschsprachigen CP-Segment, sondern auch zu denen mit der höchsten Auflage überhaupt in Deutschland. Nur das Magazin des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC), ein Vereins-Magazin also, hat eine höhere Verbreitung. Der ADAC hat auf seiner Homepage übrigens längst einen TV-Nachrichten-Kanal eingerichtet. Die Youtube-Kanäle der Automobilhersteller wirken mittlerweile wie die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.
Mehr Nutzer, weniger Aufwand
Sich per Video zu präsentieren hat Sinn – vor allem dann, wenn man Konsumenten ansprechen will. Laut European Interactive Advertising Association sehen 30 Prozent der deutschen Internetnutzer regelmäßig Filme im Netz, durchschnittlich 13,8 Stunden pro Woche. Um hingegen Botschaften bei Medienvertretern unterzubringen, eignen sich Bewegtbild-Formate nur bedingt. So ergab eine Untersuchung des PR-Dienstleisters news aktuell, dass lediglich ein Drittel der Tageszeitungs-Redakteure Internet-Videos bei der Recherche zu bestimmten Zwecken heranziehen. 37 Prozent von ihnen nutzen sie gar nicht.
Filmen bedeutete früher, auch für PR-Agenturen, hohen Aufwand. „Die Zeiten haben sich geändert. Die Produktionsmittel haben sich demokratisiert. Aber wichtiger noch: Die Akzeptanz dieser demokratisierten Produktionen ist gestiegen“, sagt Thomas Wagensonner, Produktmanager Multimedia bei news aktuell in Hamburg. „Genauer: Mit den unendlichen Möglichkeiten der Nischenproduktion kann man sich jetzt ein Publikum erschließen, dem Authentizität, Emotion und Glaubwürdigkeit wichtiger sind als technische Qualität.“ Statt einer teuren Film-Kamera kann vieles auch mit einer Canon DS-Spiegelreflex aufgenommen werden.
Beispiel: das Miniaturwunderland, eine Modelleisenbahnanlage in Hamburg. Seit 2009 setzen die Hanseaten Video in der Außendarstellung ein. Zur Fußballweltmeisterschaft produzierten sie zehn Episoden, die das Spielgeschehen kommentierten. Bis zu 10.000 Abrufe pro Folge innerhalb der ersten 24 Stunden und weit mehr als 100.000 Abrufe der Serie insgesamt waren der Lohn für die Arbeit, die das Team um Pressesprecher Sebastian Drechsler in Eigenregie leistete. Die Berichterstatter beim ZDF nahmen das Thema gern.
„Wir sehen dieses Beispiel nicht als Beleg dafür, dass ein Unternehmen so vorgehen muss“, so Wagensonner. „Es zeigt vielmehr, dass sich heute eine Vielzahl an Möglichkeiten bietet, aus denen ein Unternehmen die für seine Kommunikation passenden Elemente heraussuchen kann.“
Jedes Bild spricht eine Sprache
Gepaart mit einem neuen Qualitätsanspruch der Zuschauer, die auch technisch mittelmäßiges auf Youtube-Hitlisten katapultieren, ist mitunter auch der Anspruch der Kunden entsprechend gesunken. Viele Macher versuchen, ihren Kunden den Wunsch nach hoher Aufmerksamkeit zu geringen Kosten auszureden. Schließlich weiß jeder Berater, dass man Fehlgriffe nicht mehr wie früher in der Schublade verstauben lassen kann. Die Peinlichkeit wird immer online bleiben.
So wie die Web-Video-Kampagne des Zentralverbandes Naturdarm, für die Musiker ihre Streichinstrumente mit Würsten bearbeiten, während der Dirigent mit einer Wiener im Takt wedelt. Mit etwas Glück wird das Projekt im Nachhinein mit augenzwinkerndem Wohlwollen betrachtet – oder versinkt im Orkus des weltweiten Datennetzes.
Christina Kahlert, Chefin der Münchner Indoc-Filmproduktion, kümmert sich um ein ganz anderes Problem: Wenn tausende, gar Millionen von Filmen im Netz kursie-ren und davon eine ganze Reihe Clips zum Stichwort BMW, wie sind dann die vom Unternehmen von denen irgendwelcher Privatpersonen zu unterscheiden? Wie schafft man einen Widererkennungswert? Kahlert hat für den Kunden BMW ein Auge darauf, dass nur Material mit entsprechendem Niveau das Unternehmen verlässt. Auch fischerAppelt-Mann Völker ist sich der Herausforderung bewusst: „Idealerweise entwickeln wir für Kunden eine eigenständige Bildsprache, einen eigenen Look“, sagt er. So habe man in der Nachbearbeitung der Filme aus dem fahrenden Smart einheitlich in warmen Sepia-Tönen nachgearbeitet. „Aber eine einheitliche Bildsprache durch die Bewegtbild-Kommunikation eines ganzen Unternehmens zu ziehen, ist ein sehr hoher Anspruch, der kaum durchzuhalten ist.“ Innerhalb einer Kampagne sei eine einheitliche Optik aber selbstverständlich.
TV-Footage bleibt gefragt
Die Bandbreite der Anfragen an fischerAppelt, tv media reicht hinab zu den günstigen Produktionen fürs Netz. Die klassische Imagefilm-Produktion findet nach wie vor statt; nur wird das High-End-Produkt anders eingesetzt. „Die Inhalte, die man mit einem großen Investment produziert, werden heute viel stärker weiter verwertet“, berichtet Völker. Beispielsweise als so genannter Liquid Content, der kontinuierlich im Web 2.0 weiter verbreitet wird. Solitäre Projekte, die für sich allein und ohne Anbindung an andere Medienkanäle stehen, seien „out“. Die Bereitschaft der Kunden, in die neuen Medien zu gehen oder virales Marketing zu betreiben, ist gestiegen. „Wir sehen hier eine große Offenheit.“
Trotz der Möglichkeiten im Netz wird immer noch viel Footage- Material an die TV-Stationen geschickt. Aber: „Heute wird über das Internet verbreitet,“ berichtet Kahlert. Dafür arbeitet Indoc eng mit Synaptic Digital zusammen, dem Betreiber des globalen Presseportals für Bewegtbild-Content www.thenewsmarket.com. Auch HD-Material ist zum Download für die Medien verfügbar. Völker hat gar die Erfahrung gemacht, dass der Bedarf seitens der TV-Stationen gestiegen ist. „Man stößt auf offenere Türen als früher.“ Das liegt an geschrumpften Budgets für Film-Teams. Aber auch daran, dass nun auch die Websites der Sender mit bewegten Bildern bestückt werden müssen.