Prognose: Heiter bis wolkig
Der Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann hat alles, was eine gute Medienstory braucht: ein brutales Verbrechen, einen prominenten Täter und ein Opfer mit zweifelhafter Reputation. Drei Spezialisten für Litigation-PR bewerten den Prozessauftakt.
Plädoyer zum Schutz der Persönlichkeit
Auch jenseits dieser bühnengerechten „Aussage gegen Aussage-Konstellation“ dürfte dieser Fall über viele Jahre einen Referenzpunkt abgeben. Insbesondere weil er aufzeigt, zu welch frühem Zeitpunkt und auf welch unsicherer Basis mittlerweile Staatsanwaltschaften hierzulande öffentlichkeitswirksam gegen Personen vorgehen, die zunächst als unschuldig zu gelten haben. So wurde der Fall Kachelmann bereits ein knappes halbes Jahr im Gerichtssaal der öffentlichen Meinung auf äußerst fragwürdige Weise verhandelt, bevor er erstmals im eigentlichen Gerichtssaal aufgerufen wurde. Hier besteht dringender legislativer Handlungsbedarf: Der Staat ist aufgerufen, seine Bürger besser vor der Staatsanwaltschaft und der von ihr ausgehenden medialen Vorverurteilung zu schützen.
Nahrung für die Medien
Darüber hinaus fällt auf, dass sich in den Medien inzwischen ganze „Meinungsschulen“ über den Fall herausgebildet haben, die sich zu einem bemerkenswert frühen Zeitpunkt an der Seite des angeblichen Täters oder Opfers festgeklettet haben. Kaum je zuvor wurden so hemmungslos vorteilhafte Aspekte für die eine oder andere Seite in den medialen Schlund eingespeist – wenngleich dies für den professionellen Beobachter häufig instinktiv und nicht zwingend auf der Grundlage einer klaren Kommunikationsstrategie geschah. Und wohl noch nie zuvor haben einzelne Medienvertreter die nötige journalistische Distanz aufgegeben und sind selbst in Kernaspekte der Verteidigung eingedrungen.
Schließlich bricht der Fall Kachelmann ein wei- teres Tabu: Der monatelang tobenden medialen Schlacht von Staatsanwaltschaft und Verteidigung folgt die Schlacht der Gutachter. Dass Gutachten in derart brisanten Fällen unterschiedlich ausfallen können und zumeist die Linie der beauftragenden Partei unterstützen, liegt in der Natur der Sache. Neu ist aber, dass renommierte Gutachter nun womöglich ihre eigene Reputation dadurch substanziell beschädigen, dass sie ihre Differenzen in bisher nicht gekanntem Maße über die warmgelaufene Medienmaschinerie öffentlich austragen.
Blick in die Schweiz
Vielleicht lohnt sich im Umgang mit solch bedenk-lichen und vorauseilend in hohem Maße rufschä- digenden Entwicklungen ein Blick in Jörg Kachelmanns Heimat. Die Schweizer Medien konnten das Spektakel zwar nicht ausblenden. Ihre Verantwortung, die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zu wahren, konnten die helvetischen Journalisten mit Verweis auf die Quellen in Deutschland zunächst geschickt kaschieren. Im Gegensatz zu den deutschen Medien äußerten sich jedoch die schwei- zerischen verhältnismäßig zurückhaltend. So verzichteten sie offenkundig darauf, sich auf die Seite des mutmaßlichen Täters oder jene des mutmaßlichen Opfers zu schlagen. In der Schweiz wurde das Geschehen mit einer für derart sensible Fälle an sich notwendigen kritischen Distanz beobachtet. Vielfach thematisierten die Publikationen Themen wie „Vorverurteilung“ oder „Vorfreispruch“ und hinterfragten kritisch ihre Rolle als Medien per se. Die Berichterstattung in der Schweiz darf insgesamt – mit einigen wenigen Ausreißern – als ausgewogen bezeichnet werden. Was allerdings mitnichten bedeutet, dass die öffentliche Tribunalisierung des Falles während der Untersuchungsphase dadurch verhindert worden wäre. Allein schon die Berichterstattung über die Berichterstattung im Vorfeld dieses Schauprozesses führte unvermeidlich dazu, dass die Unschuldsvermutung zur Randnotiz verkam.
Auch bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit bei Gerichtsverfahren gibt es gewichtige Unterschiede zu beachten, die für Beschuldigte wie Jörg Kachelmann von großer Relevanz sind. Denn prozessrechtlich gesehen tickt die Justiz hier ganz anders als in der Schweiz. In der Schweiz dauert die Voruntersuchung bei Wirtschafts- und Strafverfahren deutlich länger, bis es endlich zum Prozess kommt. Denn Beweisaufnahme und Zeugenbefragungen werden der Gerichtsverhandlung oft vorgelagert. Im Gegenzug dazu gibt es anschließend vor Schweizer Gerichten einen «kurzen Prozess», der nicht selten in einem Tag abgeschlossen ist. Nun lässt sich freilich darüber streiten, welches der beiden historisch gewachsenen Systeme fairer ist mit Fokus auf die in zunehmendem Maße mitentscheidende öffentliche Meinungsbildung. Im Fall Kachelmann, der eine bislang einzigartige mediale Aufmerksamkeit generiert hat, lässt sich jedenfalls mit Sicherheit sagen: Selbst die relativ kurze Untersuchungsdauer hat nicht dazu geführt, Unschuldsvermutung und Reputation der Beteiligten bis zum Tag des richterlichen Urteils zu schützen. Dies wiederum zeigt deutlich auf, wie wichtig eine strategisch geschickte Öffentlichkeitsarbeit im heutigen digitalen Medienzeitalter von Beginn an ist.
Alles auf eine Karte
Für Jörg Kachelmann geht es in der Hauptverhandlung vor dem Mannheimer Landgericht ums Ganze. Es geht um seine Freiheit – im Fall einer Verurteilung droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe – und es geht um seine berufliche Zukunft. Denn der Fall Kachelmann wird nicht nur vor dem baden-württembergischen Strafgericht, sondern auch im Gerichtssaal der Öffentlichkeit verhandelt. Die strafrechtliche Beurteilung obliegt allein dem zuständigen Gericht, vor dem ihn seine Anwälte vertreten. Aber wendet er die richtige Kommunikationsstrategie an, um auch im Gerichtssaal der Öffentlichkeit zu gewinnen?
Medial hoffähig werden
Vor Gericht steht Aussage gegen Aussage – das Urteil muss aufgrund von Indizien gefunden werden. Selbst wenn ihn das Gericht freispricht, werden Spekulationen im öffentlichen Gedächtnis haften bleiben. Denn so wie es bis jetzt aussieht, wird es für einen Freispruch keine eindeutigen Entlastungs- beweise geben.
Hier muss Kachelmanns Strategie ansetzen. Das kommunikative Ziel kann im Fall eines Freispruchs nur lauten, so schnell wie möglich wieder medial hoffähig zu werden – bei einem Schuldspruch hilft auch Kommunikation nicht mehr. Das kann ihm nur gelingen, wenn er öffentlich geäußerten Zweifeln an seiner Unschuld entgegen tritt. Er muss das Statement seiner Unschuld in die Medien tragen. Er muss reden, denn sonst wird über ihn geredet. Nur wenn er redet, kann er den öffentlichen Diskurs mitbestimmen. Vermeiden sollte er jedoch, schmutzige Wäsche zu waschen oder die Justiz anzugreifen. Dabei kommt ihm eine Besonderheit dieses Falles zugute: Die Medien verfügen bislang über wenig berichtenswerte Fakten. So wenige, dass selbst das Gefängnismenü zur Meldung wird.
Unschuld als wichtigste Essenz
Wie ist das bisher gezeigte Kommunikationsverhalten von Kachelmann zu bewerten? In der Zeit der Untersuchungshaft war Kachelmann nur sehr ein-geschränkt handlungs- und kommunikationsfähig. Seinen Standpunkt konnte er fast nur über seine Anwälte in den medialen Diskurs einbringen. Ein kommunikatives Gleichgewicht gab es nicht.
Kachelmann wusste um die Faktenarmut in diesem Fall. Er nutzte selbst kleinste Anlässe, um seine Unschuld zu beteuern. Und die Medien saugten jede Information gierig auf.
Kachelmann ist Medienprofi – er weiß, dass Medien Bilder brauchen. Und sobald wie möglich liefert er Bilder, die seine Botschaft transportieren – den sympathischen, den unschuldigen Kachelmann. Bei seiner Entlassung umarmt er einen Vollzugsbeamten, bedankt sich bei ihm. Eine emotionale Szene, die beim Kampf um die öffentliche Meinung wichtiger sein kann, als sachliche Argumente. An diesem Tag unterstreicht Kachelmann seine Unschuld auch optisch mit einem weißen T-Shirt.
Einen Tag nach seiner Entlassung gibt der Wettermoderator ein Interview. So bestimmt er mit, was Medien über ihn berichten und nutzt auch diesmal die Gelegenheit, sich von seiner sympathischen Seite zu zeigen: Er vermisst René, seinen Knast-Kumpel, mit dem er sich den Putzdienst teilte.
Kachelmann setzt alles auf eine Karte, um wieder ein Deutungsgleichgewicht herzustellen. Das Beteuern seiner Unschuld ist dabei essenziell für ihn.
Seit Beginn der Hauptverhandlung schweigt Kachelmann – vor Gericht und stimmiger Weise auch vor den Kameras. Wir dürfen gespannt sein, wann er seine Stimme wieder findet.