Museen entdecken die Kommunikation über soziale Netzwerke. Noch gilt die Devise des „Trial and Error“, während die Technik in rasantem Tempo weitere neue Möglichkeiten eröffnet. Und auch mit Fans und Followern ist es wie im „echten“ Leben: Damit sie Freunde bleiben, muss man viel Zeit in die Beziehungspflege investieren.
Von Christina Busse
Ein Weltstar, der seine Fans per Twitter auf dem Laufenden hält und ein Profil auf Facebook hat, ist nichts Ungewöhnliches. Wenn er allerdings mehr als 40.000 Jahre alt ist, dann schon. Die Rede ist von einem Typen, der besonders durch seine ausgeprägte Stirnwulst, ungepflegtes Zottelhaar und seine gedrungene Statur auffällt: Mister N. „N“ wie „Neanderthaler“.
Seit Februar ist der international populäre Lendenschurzträger bei Twitter am Start. Rund 1.300 Follower verfolgen hier inzwischen seine Kurznachrichten in Echtzeit. Dahinter steckt das Neanderthal Museum in Mettmann, das 1996 an der Stelle eröffnet wurde, wo vor 150 Jahren die Überreste des Steinzeitmenschen entdeckt worden sind – im Neandertal. Das Haus zählt mit rund 170.000 Besuchern pro Jahr zu den erfolgreichsten archäologischen Museen Deutschlands und wurde für seine multimediale Präsentation bereits als eines der zehn besten Museen Europas ausgezeichnet. Auch in der Kommunikation beweisen die Altertumsforscher mit Mister N, dass sie nicht von gestern sind.
International aufholen
Während Museen in den USA und Großbritannien, allen voran das Museum of Modern Art in New York und die Tate Gallery in London, das Social Web bereits intensiv zur Verbreitung ihrer Inhalte und zum Dialog mit vielfältigen Interessengruppen nutzen, entdeckt das Gros der hiesigen Häuser gerade erst das Potenzial, das sich ihnen im Web 2.0 bietet. „Trial and Error“ lautet das Motto in dieser Zeit des Ausprobierens, in der viel in Bewegung ist, neue Konzepte, Strukturen und Abläufe gefragt sind.
Dabei überrascht es nicht, dass besonders Praktikanten und Volontäre, eben die webaffine jüngere Generation, frischen Wind und Know-how in die Museumslandschaft hineinbringt. Sebastian Hartmann, Jahrgang 1980, kam nach seinem Studium der Kunstgeschichte und Soziologie vor vier Jahren ebenfalls als Volontär ins Neanderthal Museum, wo er seit 2008 als Webmaster die Mediathek, den Internetauftritt und die Web-2.0-Aktivitäten verantwortet. Nach einem halben Jahr intensiver Vorbereitungen bietet das Museum unter „Neanderweb 2.0“ auf diversen Kanälen Informationen rund um ihr Haus an. Twitter, Facebook und ein Weblog werden ergänzt um Flickr und YouTube. „Unsere Absicht ist es, neue Zielgruppen im Alter von 25 bis 45 Jahren zu erschließen, indem wir die Figur des Neanderthalers als freundliches Aushängeschild und als Marke ins Netzt bringen“, erläutert Hartmann. In seiner Social-Media-Strategie wolle man „nach dem Prinzip der Evolution handeln“: das Angebot langsam ausbauen, die Vernetzung der Tools optimieren und die ausgewählten Plattformen kontinuierlich pflegen.
Dialog ist erfolgsentscheidend
Entscheidend für den Erfolg sei der Dialog mit den Nutzern. „Wir sind dankbar für Tipps, Hinweise und Anregungen und leiten das Feedback auch im Haus weiter“, sagt Hartmann. Während er selbst als „Mister N“ twittert, kommen im Blog vor allem die Wissenschaftler zu Wort, die die Leser beispielsweise am Geschehen an Ausgrabungsstätten, an Konferenzen oder am Aufbau einer neuen Ausstellung teilhaben lassen.
Nicht zu unterschätzen ist der Zeitaufwand, der mit der Konzeption, der Einrichtung und Pflege des sozialen Netzwerks verbunden ist. Je nach Kapazität kann es sich empfehlen, projektorientiert aktiv zu werden, so wie beispielsweise das Museum Neukölln, das sich als Regionalmuseum der Kultur und Geschichte des Berliner Stadtteils widmet. Der Umzug des Hauses an einen neuen Standort und die Einrichtung der neuen Dauerausstellung wurden intensiv in einem Blog begleitet.
Vom Nutzen überzeugt
Und während Twitter als Experiment begonnen wurde, ist Museumsleiter Udo Gößwald inzwischen vom Nutzen als Ergänzung zur klassischen PR überzeugt: Schnelle und günstige Informationsübermittlung, die Vernetzung mit anderen Kultureinrichtungen und vor allem die Möglichkeit zu Dialog und Diskussion führt er als Pluspunkte der sozialen Plattformen im Netz an. „Jetzt müssen wir tief Luft holen, um zur Eröffnung unseres Geschichtsspeichers im Oktober die Medien wieder in voller Bandbreite zu nutzen – ein Blog braucht Content“, sagt Gößwald, der mit drei bis vier Stunden Zeitaufwand zum Verfassen eines fundierten Blogbeitrags rechnet.
In der Ausstellungshalle NRW- Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf wurde das Twittern zur Chefsache erhoben. Für Ausstellungsleiter Werner Lippert ist das Web 2.0 inzwischen fester Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit, nachdem einiges an Lehrgeld bezahlt worden ist. Ein seit Ende 2008 betriebenes Weblog, mit großem Aufwand „gefüttert“, wurde nach einem halben Jahr mangels Resonanz wieder eingestellt. Den Grund sieht Lippert heute in Inhalten, die zu wenig auf das Interesse der Zielgruppe zugeschnitten und teilweise zu wissenschaftslastig waren. Im Januar 2010 wurde in Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Agentur Conosco eine Social-Media-Strategie erarbeitet.
Dynamisch und lernfähig
In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt: Auch wenn den Aktivitäten des NRW-Forums ein Konzept zu Grunde liegt, ist die Kommunikation via Social Media ein dynamisches System. „Wir hören aufmerksam zu und nehmen Hinweise ernst“, betont Lippert. So hat sich nach Bemerkungen aus der Community, die sich mit drei oder vier Meldungen am Tag überstrapaziert fühlte, der Rhythmus auf ein bis zwei Postings pro Tag und Kanal eingespielt.
Aktuell liegt das NRW-Forum in seiner Resonanz weit vorne, was nicht zuletzt auf die mit durchschnittlich deutlich unter 35 Jahren relativ junge Nutzergruppe des Hauses zurückzuführen ist. Fotowettbewerbe, Preview-Führungen und Foto-Shootings motivieren zum realen Besuch des Hauses und machen den Nutzwert für die User aus.
Das Frankfurter Städel Museum, das als einer der Vorreiter im Bereich Social Media gilt und seit Anfang 2009 auf diversen Social-Network-Plattformen vertreten ist, stellt auf seiner Facebook-Seite ebenfalls gezielt an eine junge Benutzergruppe angepasste Veranstaltungen, Führungsformate und Workshops ein. Die Fans können angeben, ob sie eine Veranstaltung besuchen und gleichzeitig sehen, welche ihrer Freunde ebenfalls an dieser Veranstaltung teilnehmen.
Die Inhaberin der u.s.k. Kommunikationsagentur, Ulrike Schmid, stellt fest, dass die Zahl der Kultureinrichtungen, die im vergangenen Jahr Profile bei Twitter, YouTube, Flickr und Facebook angelegt haben, stark zugenommen habe, gleichzeitig scheine man von der Nutzung verschiedener Social-Media-Profile und damit einer zielgruppenspezifischen Ansprache noch weit entfernt zu sein. Schmid hat die Social- Media-Aktivitäten von 90 deutschen Museen untersucht und
will die Ergebnisse ihrer Studie im Herbst vorstellen.
Zwar betonen die Museumsleute immer wieder, dass die Web-2.0- Kanäle individuell zum Haus passend ausgewählt werden müssten. In der Praxis zeigt sich aber, dass Facebook und Twitter die Mittel der Wahl sind. Andere, die zur Ansprache jüngerer Zielgruppe interessant sind, wie beispielsweise StudiVZ, werden meist aus Kapazitätsgründen nicht „bespielt“. So auch die Fotoplattform Flickr. Und das, obwohl sie die Möglichkeit bietet, Bildmaterial ohne großen Betreuungsaufwand einer größeren Dialoggruppe zur Verfügung zu stellen.
Feuilleton meidet Facebook
Das NRW-Forum erhält mit seinen teilweise inhaltlich sehr Web-2.0- affinen Ausstellungsinhalten und einem entsprechenden Publikum in der Bloggemeinde große Aufmerksamkeit. Um Blogger und Online-Redakteure gezielt zu unterstützen, wurde ein Social Media Newsroom als Ergänzung des traditionellen Pressebereichs auf der Website geplant und eine Pressekonferenz speziell für Blogger angeboten.
Zur Mapplethorp-Ausstellung konnte die Blogger-Preview bereits zwanzig Besucher zählen. „In der Medienarbeit gehört das Vertrauen aber im Allgemeinen nach wie vor mehr dem Feuilleton als den Followern und Fans. Das Geld fließt deshalb auch nach wie vor mehr in die klassischen Medien“, stellt Schmid fest. Sie weist darauf hin, dass insbesondere eine gute Präsenz in einem Video-Portal wie YouTube für die Medienarbeit erfolgreich genutzt werden könne. Vor allem Online-Redaktionen würden zunehmend in Videoportalen recherchieren. Hier bietet sich die Chance, ein Museum authentisch darzustellen, indem die Menschen hinter den Kulissen zu Wort kommen und Prozesse, wie zum Beispiel der Aufbau einer Ausstellung, gezeigt werden.
Vielstimmigkeit zulassen
Um die Potenziale der sozialen Netzwerke optimal nutzen zu können, müssen die interne Kommunikationsstruktur und -kultur auf den Prüfstand. „Wer den Weg ins Social Web geht, muss Vielstimmigkeit zulassen können“, weiß Stephan Eichenseher, Seniorberater bei wbpr München, der gemeinsam mit der Alten Pinakothek in München das Projekt „Rubens twittert“ entwickelt und umgesetzt hat. Dem alten Meister gaben Wissenschaftler aus dem Museum ihre „Stimme“, so konnte fundiertes Wissen und eine inhaltliche Wertigkeit der Kurznachrichten sichergestellt werden. Das ist nicht immer so, wenn externe Dienstleister Veranstaltungshinweise ins Netz stellen. Oder aus den verschiedenen Bereichen des Museums auf den diversen Kanälen kommuniziert wird, oft unter der „Oberhoheit“ der Pressestelle oder des Webmasters. Deshalb sollten Abteilungen wie Marketing, Fundraising, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Pädagogik und Wissenschaftler an einem Strang ziehen und das Angebot gemeinsam weiterentwickeln. „Man muss bereit sein, sich transparent darzustellen und alle Abteilungen einzubinden, um zum Beispiel im Blog Neues zu posten sowie links und rechts vom eigenen Blog zu gucken und aktiv in die Diskussion einzusteigen“, betont Ulrike Schmid, und empfiehlt, in einer Social- Media-Policy Grundsätzliches im Umgang mit dem neuen Medium festzuschreiben.
Die Staatlichen Museen zu Berlin in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben vor kurzem einen Facebook-Auftritt – personifiziert durch die Büste der Nofretete – eingerichtet, für den die Abteilung Presse, Kommunikation und Sponsoring der Generaldirektion zuständig ist. Inhaltliche Zuarbeit wird aus den 19 Museen geleistet, die an fünf Standorten in der Hauptstadt vertreten sind – darunter das Pergamon Museum und die Neue Nationalgalerie. „DerZulauf innerhalb der ersten Wochenist erfreulich“, erklärt Simon Rein, Mitarbeiter der Presseabteilung.Vor allem die 25- bis 34-Jährigen nutzten das Angebot. Streuverluste könnten durch die gezielte Ansprache verringert werden.
Die Zukunft ist ortsbezogen
Was mit kurzen Statusmeldungen auf Facebook oder MySpace begonnen hat, findet bei Dienstleistern wie Foursquare, Gowalla und Brightkite seine Fortsetzung. Doch an diese neue Web-2.0-Dimension traut sich in der Museumsszene noch kaum jemand heran.
Die rege Beteiligung an Aktionen und die Diskussionen auf den Plattformen bis hin zur Teilnahme an realen Veranstaltungen machen jedoch deutlich, dass die Brücke vom Web 2.0 in die Wirklichkeit erfolgreich geschlagen und eine enge Bindung zum Museum erreicht werden kann. Museen aller Sparten können das Web 2.0 nutzen, um mit ihren Zielgruppen ins Gespräch zu kommen und ihr Profil dadurch zu stärken.