Mit seiner missglückten Greenwashing-Kampagne hat der Lobby-Verband der deutschen Braunkohle-Industrie nicht nur eine Chance zum ehrlichen Dialog vertan, sondern seinen Mitgliedern einen Bärendienst erwiesen. Schon zweifeln diese, ob sich PR für Kohle überhaupt noch glaubwürdig betreiben lässt. Von Bijan Peymani
Was hat Friedrich Nietzsche mit deutscher Braunkohle zu tun? Etwas konstruiert vielleicht die Einigkeit in der Bewertung von moralischen Systemen; augenfälliger die Tatsache, dass die sterblichen Überreste des Philosophen inmitten eines ertragreichen Braunkohlegebiets in Röcken bei Leipzig vergraben liegen. Das könnte eine Umbettung des großen Nietzsche zur Folge haben – was derzeit Anwohner und Anhänger in Wallung bringt. Der Rest der Republik beißt sich an der Frage fest, wie viel Kohle für den Klimaschutz noch geht.
Jede Menge, meint der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein (Debriv) in Köln und startete Anfang März eine Informationsoffensive (Claim: „Die Braunkohle. Was liegt näher?“). Nicht alle Eier in einen Korb zu legen und Bodenschätze sorgsam wie Talente zu behandeln, rät der Debriv in großformatigen Anzeigen (unter anderen „Spiegel“, „taz“, „Zeit“). Vorläufiger Höhepunkt der Testimonial-Kampagne: ein Auftritt von Princeton-Professor Robert Socolow („Wie der Mount Everest lässt sich auch das komplexe Klimaproblem nur über Etappen bezwingen“).
Unterirdisch klimafreundlich
Den Debriv-Botschaften liegt die Verheißung zu Grunde, dass die Welt schon sehr bald von „sauberer“ Kohle geprägt sein wird. Ungeschützt malt die Branche ihre Zerrbilder von „CO2-freien“ Kraftwerken, befeuert von ihrem im Sommer vergangenen Jahres als gemeinnütziger Verein gegründeten „Informationszentrum zum klimafreundlichen Kohlekraftwerk“ in Berlin. „Mit dem IZ Klima wollen wir Potenziale und Chancen der Abtrennung und unterirdischen Lagerung von CO2 öffentlich breiter bekannt machen“, sagt Vorstandschef Klaus von Trotha.
Gerade diese so genannte CCS-Technologie geriet in der Debriv-Kampagne aber zum Störfall, neben dem – euphemistisch formuliert – etwas unglücklichen Timing der verbandstypischen PR-Emission mitten in einer irrational geführten Klimadebatte. So war ein Zitat von Robert Socolow ohne dessen Wissen von Debriv zweckentfremdet worden. Seit Bekanntwerden des Missgeschicks wird der Fall mit sichtbarer Lust in dem von Greenpeace-Magazin und dem Webportal wir-klimaretter.de betriebenen Watchblog www.klima-luegendetektor.de dokumentiert. Zwar unterstützt Socolow, der 2004 einen der ersten konkreten Klimaschutzpläne vorlegte, die Entwicklung der CCS-Technologie. Da diese jedoch frühestens ab 2020 großtechnisch einsatzfähig sein wird, lehnt der Wissenschaftler bis dahin den Neubau von Kohlekraftwerken ab. Ein solcher Standpunkt, befanden wohl die Debriv-Verantwortlichen, macht sich für die eigenen PR-Zwecke nicht besonders gut: Schließlich werden in Deutschland derzeit mehr als zwei Dutzend neue Kohlekraftwerke geplant oder bereits gebaut.
Also half der Lobby-Verband der Wahrheit erst ein wenig nach, um im April stillschweigend Abbitte zu leisten. Der von den Profis der Schweizer Agentur Lesch+Frei (deutsches Office in Frankfurt/Main) erdachte Auftritt trägt nun eine korrigierte Socolow-Fassung. Der Debriv hat sich derweil in den Schmollwinkel zurückgezogen. Offizielle Recherchen des PR Report zu Kohle und Kampagne blockt Sprecher Uwe Maaßen mit der Begründung ab, „dass eine Beantwortung im gewünschten Sinne weder zeitlich noch inhaltlich durchführbar ist“.
Die – bewusst offen formulierten – Fragen passen dem Verband nicht ins Konzept: „Über Inhalte, Mediaplanung und Kosten führen wir keine externe Kommunikation“, erklärt Maaßen lapidar. Auch die erbetene Bewertung der Kampagnenergebnisse sei „eine rein interne Angelegenheit“. Als Alternative schlägt der PR-Wart des Lobby-Verbands „die exklusive Erstellung eines Namensartikels vor, Autor könnte ein maßgeblicher Vertreter unseres Industriezweiges sein“. So beginnen Freundschaften…
„Energiepolitisches Zieldreieck“
Derweil bläst der hiesigen Zunft der Wind so eisig ins Gesicht, dass ihr unlängst ausgerechnet ein Schwergewicht in Gestalt von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel beispringen musste: „Es geht um das Zentrum unserer Industriegesellschaft“, ließ sich der SPD-Ressortchef sehr staatstragend im „Spiegel“ zitieren. Mit ihrem Widerstand gegen neue Kohlekraftwerke leisteten Umweltverbände längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken Vorschub, mahnte der Minister und verneinte mit seiner Fürsprache eine Gefährdung der eigenen Klimaziele. Ins gleiche Geschirr warf sich kurz darauf Hans-Joachim Reck als Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) in Berlin. Reck fordert einen neuen politischen und gesellschaftlichen Konsens über die Energieversorgung der Zukunft ein und appelliert mit Blick auf ein aktuell ideologisch blockiertes Vattenfall-Projekt in Hamburg-Moorburg an die Politik, „das energiepolitische Zieldreieck aus Preiswürdigkeit, Versorgungssicherheit sowie Umwelt- und Klimaschutz richtig auszutarieren“. Das ist Wasser auf die Mühlen der Versorger.
Für Moorburg bekräftigt Geraldine Schroeder, Leiterin externe Kommunikation bei Vattenfall Europe in Berlin: „Wir werden nicht müde werden, um Akzeptanz in Politik und Gesellschaft zu werben.“ Sollte das Vorhaben aus politischen Gründen fallen, „dürfte von hier in der Tat die schon viel beschworene Fanalwirkung für viele, viele Infrastrukturprojekte im ganzen Land ausgehen“, orakelt Schroeder: „Ein Industrieland wie Deutschland sollte sich ein Scheitern von Europas modernstem Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerk auf Kohlebasis nicht leisten.“
Als wären brennende Reaktoren und desaströse Krisen-PR, juristische Greenpeace-Attacken auf das Vattenfall-Kraftwerk im sächsischen Boxberg sowie die Hängepartie um Moorburg nicht schon genug schlechte Presse, reichte der schwedische Stromgigant auch noch eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt Hamburg ein. All das lenkt vom eigentlichen Ziel ab, die Menschheit über die zugegebenermaßen ernsthaften Bemühungen zu unterrichten, den ganz zweifellos klimaschädlichen CO2-Ausstoß im Zuge des Kraftwerkbetriebs zu reduzieren.
Dass Vattenfall – wie auch Mitbewerber RWE oder E.on – dabei jedoch mit Technologie von Übermorgen werben, so als sei es nur eine Frage von Monaten, allenfalls wenigen Jahren, bis es losgehe, grenzt an Irreführung. Derzeit wollen sich die Energieversorger vor allem dafür legitimieren, weiterhin CO2-emittierende Kohlekraftwerke zu bauen. So lässt RWE aus Essen die Kuh „Vroni“ in Anzeigen auf babyblauem Fonds mit Kraftwerken um die Wette pupsen. Letztere seien in Zukunft jedenfalls durch deutlich reduziertere Emissionen charakterisiert. Dem Kleingedruckten – und zwischen den Zeilen der von der Hamburger Agentur Bungalow Brand Lab kreierten Kampagne – ist zu entnehmen, dass sich die neue RWE-Losung „vorweg gehen“ vorerst nicht auf Anlagen mit CCS-Technologie bezieht. „Aber auch Kohlekraftwerke mit CCS sind nicht CO2-frei, wie es in Anzeigen der Branche häufiger zu lesen ist, sondern lediglich deutlich CO2-ärmer als ihre konventionellen Vergleichsanlagen“, kritisiert Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts, die PR-Kampagne der Branche.
Das Wuppertal Institut hatte jüngst eine CCS-Studie angefertigt, die unter dem Strich für eine Koexistenz von moderner Kraftwerkstechnologie und dem Einsatz regenerativer Energien plädiert. In der CCS-Betrachtung sei indes zu berücksichtigen, ergänzt Fischedick, im Institut Leiter der Abteilung zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen, „dass die Technologie mit einem erheblichen Brennstoffmehraufwand verbunden ist, damit korrespondierende negative Wirkungen samt Treibhausgasemissionen in der vorgelagerten Prozesskette eingeschlossen“. Ebenso klar ist, dass es Segnungen des modernen Fortschritts auch beim Umweltschutz nicht umsonst geben kann. Die CO2-Abtrennung koste Geld – und zwar den Verbraucher, bereiten erste Medien die Bürger auf das Kommende vor. Demnach könnten sich die Kosten für die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken ab 2020 – ungeachtet aller weiteren Preistreiber – allein durch den Einsatz von CCS-Technologie von heute drei bis vier auf bis zu sieben Cent pro Kilowattstunde verdoppeln. Nur sagen mag das heute noch kein Energiekonzern.
Auch nicht, dass die Zielmarke „2020“ – klingt doch so toll – schon jetzt wohl zu optimistisch formuliert ist. Das wirft die zentrale Frage auf, ob und inwieweit glaubwürdige PR rund um den fossilen Brennstoff überhaupt (noch) darstellbar ist. „Es ist schwerer geworden, keine Frage“, räumt Vattenfall-Sprecherin Schroeder ein, „vor zwei Jahren hätten wir es sicher alle kaum für möglich gehalten, dass das Ansehen der Kohle – übrigens auch in traditionellen Bergbauregionen wie dem Saarland – so sehr und so schnell leiden würde.“
Hier hat das von Zwanghaftigkeit und Eigendynamik charakterisierte Thema Klimawandel nachhaltig und undifferenziert Einstellungen geprägt – das mag man der Branche zu Gute halten. Schroeder bringt das Gebot der Stunde auf den Punkt: „Einstellungen ändern, nicht mit Informationen geizen, beharrlich plausibel machen, warum wir alle als Volkswirtschaft die Kohle weiterhin brauchen werden, und das sachlich und selbstbewusst – vor dieser kommunikativen Herausforderung stehen wir derzeit.“
Öffentliches Interesse wie nie zuvor
Während E.on noch zu Jahresbeginn großes Sendungsbewusstsein empfand, Deutschland die zukunftsweisende CCS-Kooperation mit Siemens mitzuteilen, geht der Konzern ob des aktuell rauhen Diskussionsklimas lieber in Deckung: „Der Energieträger Braunkohle spielt im Erzeugungsmix der E.on Energie AG mit rund drei Prozent Anteil eine untergeordnete Rolle“, rechnet Sprecher Stefan Pursche vor. Der Wettbewerb könne mehr sagen.
Tatsächlich hat RWE ein größeres Mitteilungsbedürfnis, skizziert Versorgungssicherheit, CO2-Minderungspotenziale und höheren Wirkungsgrad der Kraftwerke. Sprecher Manfred Lang sieht im Ergebnis einen „aktiven Beitrag der Energiewirtschaft zum Umweltschutz“. Aber auch Lang muss feststellen, dass Energiepolitik derzeit ein so starkes öffentliches Interesse erregt wie nie zuvor. „Debatten etwa über Kernenergie oder zunehmend auch über die Kohle werden mit großer Emotionalität geführt“, bedauert der RWE-Vormann. Lang mahnt deshalb, „diese Diskussionen zu versachlichen und aufzuhören mit der Schwarz-Weiß-Malerei“. Klar ist auch: Ohne öffentliche Akzeptanz geht es nicht. Hier sieht Lang die Politik auf Bundes- und Länderebene in der Pflicht, „gemeinsam mit den Unternehmen für zwar nicht populäre, aber dringend notwendige Projekte zu werben“. Deutschland sei bisher mit einem breiten Energiemix gut gefahren, der eine sichere, zuverlässige Stromversorgung garantiert, „wir tun gut daran, diese Strategie nicht einfach über Bord zu werfen“.
Dem mag man folgen oder nicht – unbestreitbar aber täte die Branche gut daran, ihre PR aus knalliger Anzeigen-Copy in Versalienschrift an einen sachlicheren Kommunikationsauftritt ohne Einsatz von Kindchen- oder Tier-Schemata zu erden. Und ihre Karten aufzudecken: Lobbyismus ist für sich genommen nichts Verwerfliches – dass mit Matthias Hartung der Vorstand von RWE Power indes den Vorstandsvorsitz des Debriv stellt und beide Reihen nahezu zeitgleich ähnlich gelagerte Botschaften verbreiten, hat durchaus einen Hautgout.