Alarmzustand
Tsunami, Bomben, Aschewolke: Jede Krise in der Reisebranche ist anders. Durch gutes Krisenmanagement kann es gelingen, einen größeren Imageschaden abzuwenden. Von Michaela Ludwig
Der Branchennewsletter „reise vor 9“ berichtet vom bevorstehenden Fluglotsen-Streik in Spanien, vom Ausbruch der Beulenpest in Peru, von Waldbränden auf Samos und einem Raketenbeschuss am Roten Meer – für die Tourismusbranche ein normaler Vormittag im August. Natürlich ist nicht jeder Vorfall gleich eine Krise – dazu wird er erst, wenn er sich großflächig auswirkt und nachhaltiger Schaden droht. Wie schnell beliebte Urlaubsorte zu Krisengebieten werden können, haben verschiedene Katas-trophen der letzten Jahre gezeigt: der Tsunami, der Weihnachten 2004 auf die thailändische Küste traf, der Wirbelsturm Katrina, der im Sommer 2005 weite Teile von New Orleans zerstörte, und das Erd- beben in Haiti, das Anfang Januar die Hauptstadt Port-au-Prince in Trümmer legte. Auch kriegerische Auseinandersetzungen und Bombenanschläge wie in New York 2001 beeinflussen den Tourismus und mit ihm die PR-Arbeit für die betroffenen Regionen.
Naturkatastrophen als Tagesgeschäft
Besondere Ereignisse gehören mittlerweile zum Alltag in der Tourismusbranche. „Ein gutes Drittel unserer Tätigkeiten dreht sich heute um Vorgänge, die nicht auf der Tagesordnung stehen und zu Headlines werden können“, bestätigt Thomas Wilde, dessen Agentur Wilde & Partner Public Relations die unterschiedlichen Akteure der Branche von München aus betreut. Auch für weltweit operierende Unternehmen wie die TUI gehören Unfälle, Infektionskrankheiten und immer häufiger auch Naturkatastrophen zum Tagesgeschäft, so Unternehmenssprecher Mario Köpers. Täglich träfen aus allen Teilen der Welt Krisenfaxe, so genannte Situationsberichte, in der Konzernzentrale in Hannover ein.
Dabei wird bereits im Vorfeld versucht, die größten, offensichtlichen Sicherheitsrisiken auszuschließen. Deutsche Reiseveranstalter wie die TUI orientieren sich bei der Frage, zu welchen Zielen überhaupt Reisen angeboten werden, an den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes. „Zielgebiete, für die Reisewarnungen bestehen, bieten wir erst gar nicht an“, sagt Köpers. Das Unternehmen kann je nach Situation auf ein großes Experten-Netzwerk zurückgreifen, zu dem auch geologische und meteorologische Institute gehören. Zieht etwa ein Wirbelsturm in der Karibik auf, ist man vorgewarnt und kann rechtzeitig alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen treffen. Allerdings lassen sich Anschläge wie am 11. September 2001 oder Naturkatastrophen wie ein Tsunami nicht vorhersehen. In derartigen Situationen versagt jede Krisenprävention.
Oft unterschätzt: Krisenkommunikation
Was Vertreter der Reisebranche jedoch vorbereiten können, sind Krisenmanagement und -kommunikation. Peter Höbel von der Frankfurter Unternehmensberatung für Krisenmanagement Crisadvice legt Firmen eine sorgfältige Vorbereitung ans Herz: „Jedes Unternehmen muss darauf eingestellt sein, dass jederzeit Krisen unterschiedlicher Art wie Terror, Naturkatastrophen oder Unfälle passieren können.“ Es gelte, „mit der Fantasie eines Hollywood-Regisseurs Krisenszenarien zu entwickeln“.
Zudem empfiehlt er, Prozesse zu entwickeln, wie dem Szenario zu begegnen ist. Die kompletten Abläufe werden daraufhin in ein Krisenhandbuch gegossen. Durch Krisenübungen müssen Verantwortlichkeiten und Abläufe im gesamten Unternehmen verinnerlicht, auftretende Unklarheiten oder Mängel beseitigt werden. „Wenn dann der Ernstfall eintritt, hat das Unternehmen im besten Fall die gesamte Kette bereits absolviert“, sagt Höbel.
Doch ein gutes Krisenmanagement ist häufig eine Frage des Geldes: Im Vergleich zu anderen Branchen wie beispielsweise der Pharma- oder chemischen Industrie sind in der Touristik die Budgets knapper, so dass sich eher die starken Marken wie TUI oder Thomas Cook ein derartiges Krisenmanagement leisten können. Nur wenige kleinere Spezialanbieter sind auf den Ernstfall vorbereitet.
Noch vor etwa zehn Jahren wurden Themen wie Sicherheit und Krise von der Reisebranche zum Teil aus Kostengründen eher verdrängt. Der bis dahin ungebremste Aufstieg des Tourismus zum größten Wirtschaftszweig weltweit geriet mit zunehmend sensiblen Kunden in den späten 1990er-Jahren in Gefahr. Die Branche musste sich dem Thema stellen. So beschäftigt sich seit einigen Jahren nun auch der Branchenverband DRV offiziell in einem eigenen Arbeitskreis damit und kooperiert eng mit dem Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes.
Im Ernstfall ist ein professionelles und im Unternehmen installiertes Krisenmanagement gefragt, einschließlich der Kommunikation. Ein „Schweigen im Walde“ kann sich die Reisebranche heute weniger denn je erlauben. Denn die Kommunikation, insbesondere die Krisenkommunikation, hat sich stark beschleunigt. Früher waren es die Unternehmen und Fluggesellschaften selbst, die als Erste über ein Unglück informiert waren und daraufhin eine Pressemitteilung aufgesetzt haben. Heute ist es häufig umgekehrt: Flugzeugabstürze werden immer öfter über Twitter oder ähnliche Kanäle gemeldet. „Es gibt keine Vorwarnzeit mehr“, bringt Thomas Wilde die Konsequenzen für Unternehmen und Agenturen auf den Punkt. „Die allgegenwärtige Medienpräsenz und nicht zuletzt die wachsende Bedeutung sozialer Netzwerke fordert von uns, bedeutend schneller zu agieren und auf mehreren Ebenen zu kommunizieren“, ergänzt TUI-Sprecher Köpers.
Schnelligkeit ist gefragt
Wie im Krisenhandbuch skizziert werden auch für die Unternehmenskommunikation Checklisten für den Ernstfall vorbereitet. Sie führen Kontakte auf und schreiben Abläufe und Verantwortlichkeiten fest. Im Fall einer Krise tritt in großen Firmen der Krisenstab zusammen, dem auch der Leiter der Unternehmenskommunikation angehört. Kunden von Agenturen haben dann rund um die Uhr Zugriff auf ein Krisenteam, das bei Wilde & Partner aus der Hälfte des 30-köpfigen Teams besteht. In einem ersten Schritt werden von Reiseleitern, Partnern und Botschaften vor Ort alle verfügbaren Informationen eingeholt sowie die Berichterstattung in den Medien recherchiert. Wichtig ist, dass alle Beteiligten in Agentur und Unternehmen über dieselben Informationen verfügen und mit einer Stimme sprechen.
In einem zweiten Schritt werden Pressemitteilungen verfasst sowie Sprachregelungen für Call-Center und Internetauftritt vereinbart. Mit den unterschiedlichen Zielgruppen wird auf jeweils spezifischen Wegen kommuniziert: Die Mitarbeiter des Unternehmens werden meist klassisch über das In-tranet versorgt. Der Vertrieb beziehungsweise die Reisebüromitarbeiter erhalten Kundeninfos per Mail. Für die Kommunikation mit Kunden und Verbrauchern stellt das Internet mittlerweile den wichtigsten Kanal dar. Auf der Homepage müssen ständig aktualisierte Informationen bereitgestellt werden sowie die Nummer einer Hotline. Immer intensiver werden auch die Social Media wie Facebook, Blogs und Twitter einbezogen.
Hanna Kleber von der Agentur Kleber PR Network (KPRN) aus Frankfurt betont die Bedeutung eines großen Netzwerks, um die Situation vor Ort differenziert einschätzen zu können. Anders bestünde die Gefahr, einseitige Informationen zu erhalten. „Wir müssen alle Fakten kennen, um sie zu kommunizieren und können uns nicht auf Spekulationen verlassen“, sagt Kleber. Nicht selten klaffen die Einschätzungen der Situation weit auseinander, was in den unterschiedlichen Positionen und Interessen von Destination, Hotelier, Reiseveranstalter und Fluggesellschaft begründet sein kann. Ein typischer Konflikt entsteht häufig zwischen Destination und Reiseveranstalter. Im Zweifelsfall wird schon mal der zuständige Mitarbeiter als Rechercheperson und Ansprechpartner zum Unglücksort geschickt.
Fremdenverkehr wird zur Aufbauhilfe
Nach der Krise beginnt die Aufbauarbeit – auch was das Image betrifft. Hier ist das Know-how der PR-Agenturen gefragt. Kleber PR Network berät zum Beispiel seit 1997 das thailändische Fremdenverkehrsamt. Nach dem Tsunami 2004 war die bisher intensivste Zusammenarbeit gefordert. Bereits wenige Wochen nach den Verwüstungen durch die Flutwelle wurde ein PR-Marketingplan umgesetzt, um dem beliebten Reiseland aus der Krise zu helfen. Als eines der wichtigsten Kommunikationsziele nennt Kleber die Aufklärung über die Situation vor Ort. Es sollte ein differenziertes Bild des Landes gezeichnet werden, immerhin hatte der Tsunami nur eine bestimmte Region zerstört. So sollte das Vertrauen in das Land als sicheres Reiseland wieder aufgebaut werden. Schließlich ging es laut Kleber auch darum, die Folgen für die Bevölkerung zu vermitteln, wenn der Tourismus ausbliebe.
In der daraufhin anlaufenden Kampagne hat KPRN Einzel- und Gruppenpressereisen organisiert, um die Situation vor Ort aufzuzeigen und ein realistisches Bild zu vermitteln. Interviews für Fach- und Publikumspresse wurden vermittelt und redaktionelle Sonderbeilagen produziert, um nicht nur potenziellen Kunden, sondern auch Reiseveran- stalter- und Reisebüromitarbeiter aufzuklären. Für diese Zielgruppe hat die Agentur Workshops und zusätzliche Reisen ins Land veranstaltet. Die Kampagne war erfolgreich: Seit 2005 verzeichnet Thailand trotz weiterer Krisen einen kontinuierlichen Anstieg der Besucherzahlen.
Als vorbildlich wurde die Bewältigung der Aschewolken-Krise durch die TUI AG von Expertenseite gelobt. Durch die bisher größte Urlauber-Rückholaktion in der Geschichte des Reisekonzerns konnte das Unternehmen sein Image als zuverlässiger Reisepartner ausbauen. Zusätzlich gelang es der TUI, die Kernbotschaft zu festigen, dass die Pauschalreise ein hohes Maß an Sicherheit bei einem derartigen Ereignis bietet. TUI hatte während der Krise eine starke Medienpräsenz, wovon nach eigenen Angaben 85 Prozent aller Beiträge positiv ausfielen. Als Sahnehäubchen schaltete der Konzern im Nachklapp ganzseitige Anzeigen in „Bild am Sonntag“ und „Welt am Sonntag“, in denen ein Dankesbrief zufriedener Kunden abgedruckt war.
Da aus jeder Krise aber auch für die Zukunft gelernt sein will, bilanziert Mario Köpers, dass in Zukunft noch stärker die Möglichkeiten des Web 2.0 genutzt werden sollten: „Die neuen Medien, vorrangig Twitter oder Apps für Smartphones, haben wir noch nicht genutzt, obwohl viele Kunden sich über diese Kanäle informieren und teilweise darüber schneller erreichbar sind als über die klassischen Medien.“ Diese Kanäle müssen für die nächste Krise, aber auch für den Tagesbetrieb erschlossen werden: Ein neues Kapitel für das Krisenhandbuch.