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15.03.2011   News
Schmackhaftes aus dem Pott
 
Seit über 30 Jahren versucht das Ruhrgebiet vergeblich mit bunten Bildern und flotten Sprüchen von seinem Schmuddelimage loszukommen. Das Jahr als „Kulturhauptstadt“ hat immerhin eine Wirkung: Die Menschen zwischen Dortmund und Oberhausen glauben wieder an die Zukunft ihrer Region. Von Harald Schiller

Eine schnoddrige Liebeserklärung junger „Ruhris“ an ihre Heimat ist zum inoffiziellen Slogan von Ruhr.2010 geworden. Tausende junger Leute trugen ihn bei der Sperrung der Ruhrgebietsautobahn A40 am 18. Juli auf ihren T-Shirts: „Woanders is auch scheiße!“ Auf einer Länge von 60 Kilometern war während der Kulturhauptstadtaktion „Still-Leben Ruhr“ der legendäre Ruhrschnellweg für drei Millionen Teilnehmer zur Showbühne geworden. 11.000 Helfer waren im Einsatz; den „emotionalen Gründungstag“ der „Metropole Ruhr“ will Kulturhauptstadt-Chef Fritz Pleitgen erlebt haben. Und weltweit sahen Menschen im Netz und auf TV-Geräten, dass der Himmel über dem Revier strahlend blau ist. An 20.000 Tischen saßen an der längsten Tafel der Welt Bergmanns-Chöre neben türkischen Tanzvereinen und regionalen Xing-Gruppen. Drei Taschendiebstähle, fünf Anzeigen wegen Körperverletzung und einige kleinere Fahrrad-Unfälle füllten am Ende den Polizeibericht.
Ein selbstbewusstes, kulturinteressiertes und neugieriges Publikum hat hier längst die kleinbürger- lichen Lebenswelten hinter sich gelassen, die das Klischee mit Taubenzucht und Gelsenkirchener Barock verbindet, die „Neue soziale Mitte“ im Ruhrgebiet ist das Ergebnis eines Wandlungsprozesses.
Doch Klischees sind hartnäckig, erste Hinweise auf die regionalen Imageprobleme fanden sich 1968 im „Entwicklungsprogramm Ruhr“. Mitte der 70er Jahre hieß es „Schöne Grüße aus Ruß-Land“ in Anzeigen – nach Bürgerprotesten nahmen die Verantwortlichen ihren Hut. Bodo Hombach, Geschäftsführer WAZ-Mediengruppe, erinnert sich: „Früher war das Ruhrgebiet eine geballte politische Macht. Entlang der Themen Kohle und Montanindustrie konnten hier hoch dotierte Subventionsprogramme durchgesetzt werden. Davon hat das Ruhrgebiet gut gelebt. Das ist heute vorbei. Mit dem Zusammenbruch der Montanindustrie war das gemeinsame Interesse beendet.“ Die Menschen waren lange Zeit stolz auf ihr Revier gewesen, bis die Montankrisen der 70er und 80er Jahre Hunderttausende Arbeitsplätze forderten, weil Kohle und Stahl im Ausland billiger waren. Zurück blieb eine verunsicherte Bevölkerung, die sich wie auf einem riesigen Industriefriedhof fühlte, der nur noch Schrotthändlern Profite versprach.

„Ein starkes Stück Deutschland“
Nach dem Niedergang der Zechen sah es für die Zukunft der Region düster aus. In den 1980er Jahren übernahm der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) die Kommunikation. „Die Bewältigung des Strukturwandels hängt davon ab, inwieweit das Ruhrgebiet mit all seinen positiven Veränderungen und Chancen als Partner neu gesehen wird und die Einstellung zum Ruhrgebiet neu geformt werden kann.“ 1985 startete die Kampagne „Das Ruhrgebiet – Ein starkes Stück Deutschland“ der Düsseldorfer Agentur Butter. Zwar verhagelte Smogalarm den Kampagnenstart. Doch Werner Butter definierte Maßstäbe für Regionalmarketing.
Es folgte in den 90er Jahren die von Springer & Jacoby in Hamburg entwickelte Kampagne „Der Pott kocht“. „Wir verstecken uns nicht länger. Wir stehen zu unseren Wurzeln. Zu unserer Andersartigkeit. Wir müssen den Pott aus der schamhaften Versenkung holen und mit neuen Bildern neu aufladen“, lautete nun die Devise. Doch die meisten Ideen verpufften im medialen Nirwana. „Wir kriegen den Begriff Ruhrpott einfach nicht weg!“, ärgerte sich Gerd Willamowski, der von 1995 bis September 2004 als KVR-Verbandsdirektor wirkte, „Ruhrpott klingt immer noch nach Schweiß und Schwerindustrie, nach Arbeitslosigkeit und einem Haufen Probleme“.
Die Entfernungen zwischen den Städten sind klein, doch örtliche Rivalitäten und Kirchturmdenken bestimmen die Agenda. Immer wieder erfand sich der Pott neu. Doch das traurige Lied blieb: „Das Ruhrgebiet leidet unter einer grotesken Unterschätzung. Immer noch hat man das Bild der 60er Jahre vor Augen, also niedergegangene Industrieregionen, schlechte Luft und eine vergiftete Landschaft!“, skizzierte der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen noch zu Jahresbeginn die Lage.

Metropolen als Globalisierungsgewinner
Die „Metropole Ruhr“ positioniert sich als Kompetenzträger für sozial verträgliche und kulturell engagierte Städte- und Metropolentransformation, „Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur!“ lautet das Credo des Kulturhauptstadtjahrs. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Folgen der Globalisierung die Renaissance großer Stadtregionen einleiteten. „Diese heterogene, polyzentrische Stadtlandschaft, der die Schwerindustrie tiefe Wunden geschlagen hat, soll nun Metropole Ruhr heißen. Das ist vermessen, präpotent und historisch abwegig“, höhnte die „FAZ“. Doch was wären die Alternativen zu diesem kleinen Etikettenschwindel gewesen? „Schön ist’s in Castrop-Rauxel und in Essen?“ oder „Wir leben gerne in Herne“?
Entgegen den Behauptungen der Ruhr.2010-Propagandisten ist die Zeche Zollverein in Essen zwar weder der Eiffelturm noch das Schloss Neuschwanstein des Reviers. Und die Jahrhunderthalle in Bochum ist genauso wenig das neue Bayreuth des Reviers, wie der Gasometer das Brandenburger Tor ist. Doch gehören der Schacht und der Doppelbock der Zeche Zollverein mittlerweile zu den meist fotografierten Architekturdenkmälern Deutschlands. Die vom Bauhaus inspirierten Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer hatten die einst größte Zeche Europas 1932 errichtet, heute stehen Zeche und Kokerei Zollverein auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO. Martin Heller, künstlerischer Intendant der Kulturhauptstadt Linz 2009, riet, sich in Zeiten knapper Kassen bei der Profilierung des Ruhrgebiets ganz auf Zollverein zu konzentrieren.

Fünf Leuchttürme sollen strahlen
100 Jahre lang dominierten Bergbau und Schwerindustrie das Leben im Ruhrgebiet, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft veränderte die Landschaft, Narben blieben zurück, Stahlwerke und Schlote sind nur noch Relikte der Vergangenheit. Landschafts- und Technologieparks, Kunst und Architektur haben das Gesicht der „Metropole Ruhr“ verändert. Mit 5,3 Millionen Einwohnern wäre sie die größte Stadt Deutschlands. 300 Projekte und 2.500 Veranstaltungen beinhaltet das ehrgeizige Ruhr.2010-Programm, der Werbeauftritt für Ruhr. 2010 konzentriert sich auf fünf Kernpunkte auf der Achse Duisburg-Dortmund. Fünf „Leuchttürme“ des Reviers sollen die Region zum Strahlen bringen: Duisburgs Innenhafen, Centro und Gasometer Oberhausen, Zeche Zollverein in Essen, Bochums Jahrhunderthalle und das Kulturzentrum „Dortmunder U“. Anregungen holten sich die Macher auch bei Richard Florida, der als Politikprofessor in Pittsburgh untersuchte, wie die alte Industriestadt durch die Errichtung einer traditionellen hochkulturellen Infrastruktur die Spuren der Stahl- und Kohle-Historie verwischen wollte. Schließlich beschrieb er 2002 in seinem wirtschaftstheoretischen Bestseller „The Rise of the Creative Class“, dass attraktive Unternehmen und gut ausgebildete Arbeitskräfte nicht durch Theater, sondern tolerante Mitmenschen, aufregende Bars und eine kreative Szene angelockt werden. Stadtplaner feierten Floridas Entdeckung der Creative Class und der entsprechenden Kreativquartiere.
„Das Gesamtprofil des Ruhrgebiets heißt: Wir haben unsere Kultur nicht ererbt, sondern erarbeitet. Aus dieser Vielfalt ist eine faszinierende Kulturlandschaft entstanden, die aber als Ganzes noch nicht wahrgenommen wird“, befindet Oliver Scheytt, zweiter Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH. So zählt das Essener Aalto-Theater zu den renommiertesten europäischen Opernhäusern. Festivals wie die Ruhrfestspiele, die Ruhrtriennale, die Mülheimer Theatertage oder die Oberhausener Kurzfilmtage sind überregional von Bedeutung. Aus dem Ruhrgebiet stammen Künstler von Weltgeltung, nach ihnen sind längst Museen benannt: Wilhelm Lehmbruck, Josef Albers oder Emil Schumacher. Dass aber die zwanzig Kunstmuseen bei „Mapping the region“ erstmals im Kulturhauptstadtjahr zusammen arbeiten, gehört zu den Fortschritten.
Und auch die Kooperation der Theater setzt neue Maßstäbe. Für das Projekt „Odyssee Europa“ reist das Publikum per Schiff, Bahn und Bus von Theater zu Theater; manchmal gab es Zwischenstopps an Imbissbuden – eine gute Currywurst mit Pommes ist hier noch ein Herzensanliegen. Zur Ruhr.2010- Halbzeit wurden 4,8 Millionen Besucher gezählt, 15 Prozent davon kamen aus dem Ausland. „Meine Hoffnungen sind bereits übertroffen worden“, freute sich Scheytt. Dass die Berliner Reise-Messe ITB die Kulturhauptstadt 2010 ins Programm genommen hat, war eine wichtige Voraussetzung. Entscheidend waren dafür auch die Vorleistungen durch die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) mit ihrem Mastermind, dem Stadtplaner Karl Ganser. Ohne ihn gäbe es jetzt keine Kulturhauptstadt Ruhr.
Von 1989 bis 1999 bewerkstelligte die IBA die ökologische und ökonomische Erneuerung des Ruhrgebiets. Zunächst stieß Ganser bei Politik und Bürgern auf massive Widerstände, als er die Überbleibsel aus der industriellen Vergangenheit vor den Abrissbirnen retten wollte, später erhielt er dafür Orden. Alte Zechen und Industriegelände wurden in Museen und Technologieparks verwandelt oder präsentieren sich jetzt als lebenswerte Wohn- und Freizeitanlagen am Wasser. In die IBA-Projekte flossen mehr als fünf Milliarden Mark.

„Im moralischen Sinn verantwortlich“
Schatten warf die Duisburger Loveparade-Katastrophe, die das Logo der Kulturhauptstadt trug. Die Kritiker des Ruhrmetropole-Konzepts sahen sich nach dem hilflosen Gebaren der Krisenmanager bestätigt. Weil niemand die Verantwortung übernahm, wurde der Kopf von Oberbürgermeister Adolf Sauerland gefordert. Einzig Fritz Pleitgen gelang nach der Katastrophe ein glaubwürdiger Auftritt: „Wir tragen an der Tragödie schwer“, erklärte der Ruhr.2010-Chef im ZDF, im moralischen Sinne fühle er sich mitverantwortlich. Doch Stefan Laurien, der als meinungsstarker ruhrbarone-Blogger schon die unter „Rent a Rüttgers“ bekannt gewordene Spendenpraxis der nordrhein-westfälischen CDU offen gelegt hatte, prügelte in einem offenen Brief auf Pleitgen ein: „Sie selbst sind in Duisburg geboren und haben die Stadt auch in späteren Jahren häufig besucht. Eigentlich hätten Sie den Tunnel schon allein deshalb kennen können. Warum war das nicht der Fall?“ Doch das Internet vergisst nicht alles. Denn noch im April hatte Laurien gewütet: „Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) und Ordnungsdezernentin Diane Jäger (CDU) bilden eine große Koalition der Spaßbremsen. Ihr Motto: Unser Dorf soll ruhiger werden. Besonders lächerlich machte sich Bochum im vergangenem Jahr als die Loveparade scheiterte.“
Ob außerhalb des Ruhrgebiets das Duisburger Schreckensszenario des Loveparade-Unglücks und seiner Opfer oder die lebendigen Bilder einer kraftvollen Selbstaktivierung des Wandels einer ganzen Region in Erinnerung bleiben, hängt auch vom weiteren Verlauf des Kulturhauptstadtjahres 2010 ab. Der größte Erfolg zur Ruhr.2010-Halbzeit ist die gewachsene innere Einheit der geschundenen Region. Vom kommenden Jahr an wird man die Ärmel hier noch etwas höher krempeln müssen, denn die öffentlichen Kassen sind leer. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht. Vielleicht entsteht wirklich ein starkes Stück Deutschland.

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