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News / Merkels neuer Sprecher wirklich ohne Chance?
Sebastian Vesper
15.03.2011   News
Merkels neuer Sprecher wirklich ohne Chance?
 
Steffen Seibert kenne ich nur aus dem Fernsehen. Weder teile ich seine Konfession noch seine offenkundige Begeisterung für die amtierende Bundesregierung. Ich kann und will mir kein Urteil erlauben, ob der 50-Jährige „der Richtige“ ist für den Job des Regierungssprechers, den er am 11. August antreten wird. Führungserfahrung hin, Zugang zur Kanzlerin her: Man sollte einen Regierungssprecher erst mal machen lassen, um ihn dann an professionellen Standards und Erwartungen zu messen.
Viele Hauptstadtkommentatoren, Fernsehleute und andere Medienfabrikanten sahen das anders, als neulich Seiberts Wechsel bekannt wurde. ZDF-Chefredakteur Peter Frey giftete seinem „heute“-Anchorman ein paar Freundlichkeiten hinterher und „bedauerte“, dass Seibert „seine Perspektive nicht im Journalismus“ sehe. Underlying message: Verrat! „Das ist eine Personalie, die nachdenklich stimmt“, notierte Daniel Bouhs in der „Frankfurter Rundschau“: „Denn es sorgte schon für Unmut, dass Merkels amtierender Sprecher Ulrich Wilhelm demnächst den Bayerischen Rundfunk leiten wird und damit aus der Politik heraus in die öffentlich-rechtliche Senderwelt wechselt. Nun scheint es so, als greife sich die Regierung aus diesem System einfach einen Ersatz ab. Es drängt sich die Vermutung auf, das alles sei ein Kreislauf, ein ewiges Geben und Nehmen.“ Und in der „taz“ hieß es, ein „absurderes Signal für fehlende Staatsferne“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk „könnte es kaum geben“.

Klassenkeile für Konvertiten
Medienleute tun sich in Deutschland noch immer schwer damit, wenn einer aus ihren Reihen ins Lager der Auftragskommunikation konvertiert. Zumal dann, wenn er eine gewisse Popularität besitzt. Der Weg zurück, das zeigen einschlägige Biografien, ist praktisch undenkbar. Das Risiko, auf der „anderen Seite“ zu scheitern, ist hingegen immer vorhanden: Ein guter Journalist ist nicht zwangsläufig ein guter PR-Praktiker. Aber sind wir wirklich eine Bananenrepublik? Ist es nicht vielmehr so, dass ein Profi ein Profi ist, egal, auf welcher Seite des Schreibtisches er tätig ist? Sind erwachsene Menschen, die im weiteren Sinne zur „Elite“ eines entwickelten, demokratisch verfassten Landes zählen dürfen, nicht fähig, Rollen zu unterscheiden, Rollen zu wechseln?
Gewiss: Steffen Seibert ist diesen Beweis noch schuldig. Ein anderer hat es vorgemacht: Klaus Walther, der 1996 vom ZDF zu Ruhrgas ging und 1999 an die Spitze der Lufthansa-Kommunikation rückte. Wie Seibert war Walther unter anderem Washington-Korrespondent des Mainzer Senders, und seine telegene Art hat Walther seither im PR-Job ebenso geholfen wie sein Verständnis dafür, wie Redaktionen arbeiten.

Lehrjahre im Zentrum der Finsternis
Entscheidend aber war: Walther hat die neue Rolle professionell angenommen, er nimmt sich selbst zurück, respektiert Journalisten in ihren Rollen, gibt wichtige Hinweise auf dem kurzen Draht. Und er stellt sich nur dann vor die Kamera, wenn er etwas zu sagen hat. In der Konzernwelt dürfte Walther übrigens durchaus von den politischen Erfahrungen profitiert haben, die er auf dem Mainzer Lerchenberg, beim ZDF, gesammelt hat, das man im Branchenjargon auch „Zentrum der Finsternis“ nennt.
Seibert, der sich mit den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln der Öffentlichkeitsarbeit in der Berliner Polit-Käseglocke erst vertraut machen muss, kann den Beweis führen, dass ein Profi ein Profi ist. Im schwarz-gelb gelähmten Berlin sind die Beobachter skeptisch, vielleicht zu Recht. Im Sinne einer weiteren Professionalisierung der Kommunikation aber wäre Seibert der Erfolg zu wünschen.

Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket in Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.

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