Das Geschäft mit dem Risiko
In guten wie in schlechten Zeiten sollen Kreditversicherungen Forderungsausfälle ihrer Kunden decken. Doch obwohl Verträge dies regeln, fühlten sich viele Versicherte im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit den monetären Risiken ihrer Warenlieferungen allein gelassen. Wie es um die Kommunikation dieser Versicherungssparte bestellt ist, zeigt ein Bericht von Birte Bühnen
„Ausgerechnet als es anfing zu regnen, wurden die Schirme zugeklappt“, sagt Holger Tittko. Mit diesem Satz fasst der Referent des DVS, des Deutschen Versicherung-Schutzverbandes, die Kritik an den Kreditversicherern zusammen, die im vergangenen Jahr im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise an die Öffentlichkeit gedrungen war. Der Verband vertritt die Interessen versicherter Firmen und ist damit das Pendant des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), in dem sich die Versicherungsunternehmen zusammengeschlossen haben. Auslöser der öffentlichen Anschuldigungen war die Angst einzelner Wirtschaftsverbände, dass sich die Kreditversicherer mit veränderten Versicherungskonditionen aus den bestehenden Verträgen zurückziehen könnten.
Aber nicht nur deshalb wurde die alljährliche Pressekonferenz des GDV zum Thema Kreditversicherungen am 14. Dezember in Köln von Branchenvertretern herbeigesehnt. Der Verband gab dort nach fast sechs Monate andauernden Verhandlungen bekannt, dass man sich mit der Bundesregierung auf eine staatliche Zusatzdeckung, die so genannte Top Up-Deckung, geeinigt habe. Sie tritt immer dann ein, wenn die Versicherer nicht mehr in voller Höhe für die Zahlungsausfälle eintreten, die den Versicherungsnehmern entstehen, wenn ihre Kunden gelieferte Waren nicht bezahlen – zu saftigen Prämien von 2,88 Prozent der jährlichen Deckungssumme.
Für breite Aufklärung sorgen
Doch mit diesem Schritt ist noch lange nicht alles wieder im Lot – für beide Seiten nicht. „Wir standen vor der Herausforderung, das System der Kreditversicherung zunächst einmal einer breiteren Öffentlichkeit transparent zu machen“, sagt Christian Lübke, Pressereferent beim GDV in Berlin. Das Nischenthema sei bis dato nur wenigen Wirtschaftsjournalisten vertraut gewesen. Also habe der Verband in Hintergrund- und persönlichen Gesprächen Wirtschafts- und Politikredakteuren den Themenkomplex erläutert und einer Vereinnahmung der Medien durch einzelne Branchen entgegengewirkt. Denn die Automobil- und Textilindustrie hätte schnell damit begonnen, über branchenweite Kreditlimitkürzungen oder die radikale Erhöhung von Selbstbehalten zu klagen – beides Mittel, mit denen sich Versicherer gern sanieren. Die Vorwürfe seien, so Lübke, haltlos. Das hätten die auf der Pressekonferenz präsentierten Zahlen belegt.
Ein Restrisiko bleibt
Doch mit denen will sich Holger Tittko nicht abspeisen lassen. Seiner Meinung nach sei das Deckungsvolumen nicht allein auf die krisen- bedingt gesunkene Auftragslage zurückzuführen, sondern auch darauf, dass sich die Versicherer im vergangenen Jahr vielfach geweigert hätten, Lieferungen zu versichern.
Zudem gelte für diejenigen Versicherten, denen die Assekuranzen den kompletten Deckungsschutz gestrichen hätten, überhaupt keine Sicherheit mehr – auch die staatliche Zusatzdeckung greift in solchen Fällen nicht. Sie kommt nur dann ins Spiel, wenn die Versicherer bereit sind, ein Restrisiko zu übernehmen.
Dass sich die Kreditkonditionen im vergangenen Jahr für viele Unternehmen verschlechtert haben, belegt unter anderem eine Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter mehr als 20.000 Unternehmensverantwortlichen vom September. Danach gibt mittlerweile ein Fünftel der Befragten an, dass sich die Bedingungen der Kreditversicherungen verschlechtert hätten. Im Frühsommer waren es noch 16 Prozent gewesen.
Ausflucht: Lieferantenkredit
Immer mehr Firmen fühlen sich gezwungen, auf den günstigsten aller Kredite zurückzugreifen, den Lieferantenkredit. Dabei überzieht der Abnehmer gelieferter Waren einfach die vorgesehene Zahlungsfrist. Gegenüber 2008 soll sich die Zahlungsmoral deutscher Unternehmen 2009 um vier Tage verschlechtert haben, belegt das jährliche Zahlungsbarometer der Atradius Kreditversicherung, einer der vier marktbeherrschenden Warenkreditversicherer Deutschlands (siehe Seite 30). Dadurch steigt jedoch das Risiko für Zahlungsausfälle, was gleichbedeutend mit einem erhöhten Risiko für die Versicherer ist.
Verlockung für Versicherungen
Börsennotierte Versicherungsunternehmen, die darauf gepolt sind, Gewinne zu erwirtschaften und Risiken möglichst gering zu halten, verlockt diese Situation dazu, ihre Deckungszusagen zu revidieren. Um Risiken abzuwälzen, werden Beiträge und Selbstbeteiligungen erhöht und zugleich das Niveau der zu versichernden Ausfälle gesenkt. Um im Geschäft zu bleiben, müssen Firmen deshalb häufiger das Ausfallrisiko auf die eigene Kappe nehmen.
Der GDV sieht das anders. Die Zahl der abgeschlossenen Versicherungsverträge sei zum Vorjahr 2008 mit 39.600 relativ stabil. Deckungsschutz bestehe für 1,12 Millionen Abnehmer der Lieferanten. Im Jahr zuvor waren es noch 1,17 Millionen gewesen. Insgesamt rechne der GDV mit einer um 36 Prozentpunkte höheren Schaden-Kosten-Quote von 114 Prozent. Dadurch verbuche die Branche für 2009 einen Verlust von 200 Millionen Euro. Dass die Kreditversicherer ihre Kunden im Regen stehen ließen, sehe er nicht, sagte Peter Ingenlath, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung des GDV und zugleich stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Atradius, auf der GDV-Pressekonferenz im Dezember. Zugleich lobte er die funktionierende Frühwarnfunktion der Kreditversicherer. Durch die vielfältigen Informationen, die sie über ihre Kunden und deren Geschäftspartner sammelten, wüssten die Warenkreditversicherer oftmals als erste, welche Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten steckten, und könnten dies an ihre Kunden weiterleiten. Ein sofortiger Warenlieferstopp verhindere manche Fol-geinsolvenz. Die Kreditversicherer kämen damit ihrer „gesamtwirtschaftlichen Verantwortung“ nach.
Den einzelnen Unternehmer und seine schrumpfenden Handelsbeziehungen haben sie dabei jedoch aus den Augen verloren, beklagen die Mitglieder des DVS. „Der GDV hat den rechtzeitigen Dialog mit den Versicherten versäumt. Statt dessen hat er sich darauf konzentriert, die Grundlagen der Kreditversicherung zu erläutern“, sagt Holger Tittko. Eine frühere Kommunikation und ein besseres Augenmaß bei der Bewertung individueller Risiken durch die Versicherer hätten sich viele Mitglieder gewünscht, so Tittko.
Alternativen sind vorhanden
Das empfiehlt auch Berater Rainer Langen aus Kronberg im Taunus: „Wer im Aufschwung Marktanteile gewinnen will, der muss in der Krise mehr Risikobereitschaft als seine Mitbewerber zeigen.“ Zudem sollten die Versicherer bei ihren Analysen mehr Wert auf die Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle legen und sich weniger an den Bilanzen vergangener Jahre orientieren. Langen schlägt alternative Policenkonzepte vor, bei denen bei ausgebliebenem Schaden Prämien zurückgezahlt oder heruntergestuft werden.
Möglichkeiten, das angekratzte Image der Kreditversicherer durch einen besseren Service aufzupolieren, gibt es reichlich. Die Versicherer und ihr Verband stecken jedoch in einem Dilemma: Detaillierte Fachinformationen überfordern die Mehrzahl der Adressaten. Sie sind aber für eine wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit ebenso nötig wie eine anschauliche Basisarbeit. Deshalb habe sich der GDV bei der Debatte um die staatliche Zusatzdeckung darauf konzentriert, mit klaren Fakten und aktuellen Zahlen Aufklärungsarbeit zu leisten, sagt Christian Lübke. Denn ein Rettungsschirm für Versicherer, wie viele Medien das Vorhaben betitelten, sei niemals im Gespräch gewesen. Lübke zeigt sich mit der geleisteten Arbeit der vergangenen Monate zufrieden: „Die Botschaften sind richtig angekommen. Wir haben die Versachlichung einer zum Teil unreflektierten und falschen Berichterstattung erreicht.“ Von Krisenkommunikation könne dabei jedoch nicht die Rede sein.