Fachinformation: Ein unterschätztes Genre
Mitten im Wonnemonat Mai geht im gediegenen Wiesbadener Kurhaus eine Tagung über die Bühne, die leider wohl auch in diesem Jahr die PR-Welt weitgehend kalt lassen wird: der Kongress der Deutschen Fachpresse. Klingt öde? Nun, auf der Agenda stehen durchaus spannende Themen wie Digitalisierung und Mediennutzung junger Zielgruppen. Ganz so wie bei den „großen“, den bekannten Publikumsmedien, die vornehmlich an Elbe und Isar zuhause sind und denen irgendwie noch immer so unerklärlich viel von ihrem alten Glanz anhaftet. Glanz, den die „Fachpresse“ auch gern hätte. Aber nicht hat.
Es ist schon paradox: Deutschland verfügt anerkanntermaßen über einen hochwertigen, den weltweit dichtesten und differenziertesten Markt an Fachinformation – in der Wahrnehmung aber nimmt sich dieses mächtige Genre hierzulande gegenüber den Consumer- und Special-Interest-Angeboten aus wie Duisburg im Beauty-Contest mit Sylt. Wer den Pott kennt und schon mal auf Sylt war, weiß, was ich meine – und, dass diese Wahrnehmung falsch ist.
Grundsolide und langweilig
Fachinformation wird in Deutschland traditionell unterschätzt. Arbeit mit dieser Spezies von Multiplikatoren kennen PR-Menschen gemeinhin als „Pflicht“; „Fachmedien“, das assoziieren viele mit langweiligem Layout, unlesbaren Grafiken, grottenschlechten Schwarzweiß-Schnappschüssen von gräulichen Mittfünfzigern in furchterregenden Anzügen, die nur gezeigt werden, weil sie irgendwo Präsident sind. Grundsolide und langweilig. Gewiss, ein übles Klischee, aber klar ist auch: Fachinformation in Deutschland „verkauft“ sich unter Wert.
Das liegt daran, dass die Fachmedienszene zu voll und zum Teil überaltert ist. Fachmedien sterben in Deutschland einen langsamen Tod, nicht wenige Kleinverleger jenseits der Pensionsgrenze halten „ihr“ Objekt in rühriger Umklammerung und bar jeder kaufmännischen Perspektive irgendwie am Leben. Die Zulieferindustrien, groß und arrogant geworden in der verflossenen Wohlstandsbundesrepublik, halten sich „ihre“ Fachmedien. Deren Vielfalt ist in vielen Branchen nichts anderes als ein Ergebnis hoheitlicher Werbeumsätze-Verteilungspolitik. Mediabudgets als Leitwährung, Autoren als Doppelagenten, die von Industrie und Verlagen für denselben Artikel zweimal kassieren – all das ist beileibe nicht neu (PR Report 06/2006), aber diese Sünden schwächen das Genre in „schlechten Zeiten“ weiter.
Substanz funktioniert auch auf neuen Kanälen
Dabei hat Fachinformation in einer mit „News“-Fingerfood vollgestopften und an Diskursen armen Medienwelt durchaus ihre verlegerische Chance und publizistische Daseinsberechtigung. Denn Fachinformation erreicht Menschen unmittelbar in ihrem Arbeitsumfeld. Gute Fachinformation bildet, klärt auf, gibt Hilfestellung und ist für die Menschen in ihren Berufen wirklich unverzichtbar.
Auf dem Kongress der deutschen Fachpresse in Wiesbaden wird mal wieder begeistert über Web 2.0 und Online-Erlösmöglichkeiten geredet werden. Die Probleme der Consumer-Medien geben wie so oft den Takt vor. Das ist, als würde man den ARD-„Presseclub“ mit den Maßstäben einer Soap abgleichen. Was die Inszenierung ihrer oftmals detailreichen Themen betrifft, so können und sollten sich Fachmedien durchaus eine Menge bei den Consumer-Medien abgucken. Darüber hinaus sollten sie sich auf ihre Stärken besinnen und ihre eigenen Qualitätskriterien leben. Wenn die Substanz stimmt, erübrigen sich Ängste vor neuen Kanälen und Geschäftsmodellen. Und vielleicht entdecken dann auch die PR-Leute die Fachinformation neu.
Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket in Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.