Augenringe fürs Publikum
Was spontan und ungeschminkt wirkt, ist oftmals das Ergebnis einer ausgeklügelten Checkliste. Ein guter Krisenplan spart Zeit und Geld und schützt den Ruf des Unternehmens. Von Geraldine Friedrich
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Der Gesichtsausdruck wirkt geschafft, Augenringe sind deutlich sichtbar. Der Mann hat die oberen zwei Kragenknöpfe seines zerknitterten Hemds geöffnet, im Hintergrund sieht man Schreibtische, Laptops und zwei Menschen, die miteinander diskutieren. Tony Hayward, CEO von BP, blickt dem Homepagebesucher im Videostandbild fix und fertig entgegen. Was auf den unbeteiligten Betrachter improvisiert, spontan, fast mitleiderregend wirkt, ist für Thorsten Hofmann, geschäftsführender Gesellschafter von PRGS in Berlin, eine perfekt vorbereitete Darksite, also eine Homepage, die das betroffene Unternehmen im Krisenfall freischaltet. „Da hat sich BP im Vorfeld sehr genau Gedanken gemacht, denn so eine aufwändige Seite samt eigenem Videobereich bekommen Sie auf die Schnelle nicht organisiert.“ Alles sei ausgeklügelt, so der Krisenexperte, angefangen vom perfekt unperfekten Outfit des CEO bis zur Bildsprache auf der Homepage. Im Drei-Sekunden-Takt wechseln die Bilder, die Menschen in Aktion zeigen, offenbar BP-Angestellte in Arbeitskluft. Dem Leser suggerieren die Fotos: Hier wird unter Hochdruck an der Lösung des Problems gearbeitet. „Die Fotos entstanden vermutlich nicht erst jetzt, sondern lagen schon vorher auf dem Server bereit. Schauen Sie sich gerade die Motive im Freien an, da ist immer blauer Himmel, das erzeugt schon mal eine positivere Stimmung“, analysiert Hofmann.
Jeder Hobbypsychologe weiß: Nichts wäre unpassender, als den CEO im dunklen Anzug mit Krawatte und Gewinnerlächeln vor dem Mikro abzubilden. Hofmann weist noch auf einen anderen Kniff hin: „Auf dem Video mit Tony Hayward hat der Kameramann das Licht an die Decke geworfen, durch die Reflexion von oben nach unten fallen die Schatten im Gesicht und damit die Augenringe und Bartstoppeln besonders stark aus.“ Für die Vorbereitung der Kommunikation vergibt Hofmann eine Eins mit Sternchen an BP. Dagegen findet er die Krisenkommunikation kurz nach der Explosion „etwas holprig“. Hofmann: „Erst hieß es sinngemäß ‚Da tritt gar kein Öl aus’, dann ‚Es gibt zwar ein Leck, aber das ist überschaubar’ und schließlich ‚Es ist jetzt doch ganz viel’. Für völlige Verwirrung sorgte das Statement ‚Wir haben noch einen langen Weg vor uns, wir kennen nur die Richtung noch nicht’ eines höheren Mitarbeiters aus der Technik – das erzeugte den Eindruck, dass BP völlig überfordert ist.“
„Es trifft uns nicht“
Für einen Weltkonzern wie BP ist ein umfassender Krisenplan selbstverständlich, wie aber ist das mit kleinen und mittelständischen Unternehmen? Hofmann berichtet von einem Unternehmen mit 1.500 Angestellten, bei dem ein Werksmitarbeiter in eine Stahlpresse fiel und sofort starb. Da das Unternehmen in einem kleinen Ort ansässig war, sprach sich die Nachricht schnell herum. „Der CEO saß 500 Kilometer entfernt, es wurde ein Hubschrauber gechartert, der ihn zusammen mit einem Psychologen innerhalb von zwei Stunden nach dem Tod des Mitarbeiters zu der Familie des Verstorbenen flog. Dieser Ablauf war auch so im Krisenhandbuch festgelegt“, erläutert Hofmann. Die Witwe hatte indes Besuch von der lokalen Presse bekommen. In so einer Situation muss die Unternehmensspitze als erstes auf die Bedürfnisse der Angehörigen Rücksicht nehmen, dazu gehört auch, die Familie von Polizeireportern abzuschirmen, notfalls Frau und Kinder in einem Hotel unterzubringen. Eine gute Vorbereitung bewahrt zudem das Unternehmen vor dem Vorwurf, es habe sich nicht genug gekümmert. „Das Image eines Unternehmens ist zum wichtigsten Handelsgut geworden“, betont Hofmann.
Laut einer Umfrage der PR-Agentur Burson-Marsteller vom vergangenen Herbst haben allerdings 47 Prozent der 200 befragten Entscheider in Unternehmen überhaupt gar keinen Krisenplan. Von den 53 Prozent, die einen Krisenplan haben, fühlt sich aber nur ein Drittel gut auf eine Krise vorbereitet. „Es gibt alles: Von überhaupt nicht vorbereitet bis perfekt. Es überrascht mich immer wieder, wie wenig sich Unternehmen mit dem Thema beschäftigen, weil sie glauben, es trifft sie nicht“, meint André Wigger, Geschäftsführer bei Burson-Marsteller in Frankfurt und dort unter anderem für Krisenkommunikation zuständig.
Bei der Krisenberatung gehen Agenturen besonders diskret vor. Deshalb will die Agentur, die hier Zahlen für das Bearbeiten eines Marktes wie zum Beispiel Deutschland preisgibt, nicht genannt werden. Für einen guten Krisenplan müssen größere Unternehmen mindestens 30.000 Euro hinlegen, die Grenze nach oben bleibt offen. Der Plan enthält ein Audit (= die Analyse möglicher Risiken), das Entwickeln und Priorisieren von Krisenszenarien (= was passieren kann) sowie das Erstellen eines Krisenhandbuchs mit allen relevanten Informationen für den Krisenfall. In dem Handbuch werden unter anderem die Mitglieder des Krisenstabs aus Kommunikation, Rechtsabteilung, Management und Produktion mit Position und Namen festgehalten, sowie die Prozesse und Entscheidungswege dargestellt. Mindestens zwei, besser drei Ansprechpartner je Funktionsbereich seien notwendig. Denn wenn eine Krise zwei Wochen und länger dauert, hält das eine Einzelperson kaum durch. Mit dem Krisenhandbuch ist es allerdings so eine Sache: Hofmann hat schon Krisenhandbücher in Unternehmen komplett unterschiedlicher Branchen gesichtet, die sich verdächtig ähnelten und nach Rückfrage auch von der gleichen Agentur stammten. Hofmann: „Da wurden auf 50 Seiten mögliche Krisenszenarien beschrieben, so etwas macht natürlich überhaupt keinen Sinn.“
Fest steht: Einmal ein Krisenhandbuch zu erstellen und es dann 20 Jahre im Schrank verschimmeln zu lassen genügt nicht. Ansprechpartner wechseln die Position, verlassen die Firma oder sterben, Prozesse verändern sich, neue Geschäfte kommen hinzu. Auch die Mitarbeiter müssen regelmäßig geschult werden. Die einfache Version heißt Krisentraining, dauert einen Tag und ist für rund 5.000 bis 10.000 Euro zu haben, sie enthält einen halben Tag Schulung anhand des Krisenhandbuchs und einen halben Tag praktischer Übung, in der ein bis zwei mögliche Krisenszenarien durchgespielt werden. Die Luxusversion „Krisensimulation“ dauert zwischen einem und zwei Tagen und wartet mit einem regelrechten Krisenszenario auf, das unter Live-Bedingungen nach einem vorher gefertigten Drehbuch abläuft. Agenturmitarbeiter spielen dabei die Rolle externer Beteiligter, beispielsweise mimen sie Journalisten, die kritische Fragen stellen. 20.000 Euro gilt hier als die Untergrenze.
Empfehlung durch Mundpropaganda
Laut Wigger lässt sich ein Drittel der durch die Krise verursachten Kosten einsparen, wenn man eine vernünftige Vorbereitung hat. „Wir bemerken, dass die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, größer geworden ist. Tatsache ist aber auch: Die meisten Unternehmen kommen erst zu uns, wenn der Krisenfall schon eingetreten ist“, fasst der 43-Jährige zusammen. Krisen sind für PR-Agenturen und Dienstleister wie PRGS ein lukratives Geschäft. Im Vergleich zu anderen Feldern erhalten sie ihre Aufträge weniger durch Wettbewerbspräsentationen, sondern durch Mundpropaganda und persönliche Empfehlung. Das ist nachvollziehbar, denn im Ernstfall bleibt wenig Zeit.
Ohne Lobbying
Wie es sich anfühlt, eine Krise ohne Krisenplan zu durchleben, weiß Gerd Koslowski, ehemaliger Kommunikationschef von Arcandor, der einstigen KarstadtQuelle AG. Im Oktober 2008 übernahm er den Job von Jörg Howe, mittlerweile Kommunikationschef bei der Daimler AG in Stuttgart. Als er an die Kommunikationsspitze trat, „brannte die Bude lichterloh“, so Koslowski. Die Finanzierung des Handels- und Tourismuskonzerns durch die Banken stand im September 2008 zum ersten Mal auf der Kippe. Die Kredite wurden erst in letzter Minute verlängert, als die Privatbank Sal. Oppenheim als Großaktionärin bei Arcandor einstieg und die Mitarbeiter einem Sanierungstarifvertrag zustimmten. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff im Februar 2009 seinen Posten räumen musste. „In der Produkt-PR, der internen Kommunikation und im Bereich Corporate Social Responsibility waren wir zwar sauber aufgestellt, aber vor allem im Bereich Issue-Management und im Lobbying waren wir schwach auf der Brust.“ So sei Karstadt zwar jederzeit in der Lage gewesen, schädliche Lebensmittel aus den Regalen zu holen oder lückenlos nachzuweisen, dass keines der Produkte von Kindern in Entwicklungsländern hergestellt würde. Ein gutes Issue-Management für grundsätzliche strategische Fragen und ein „vernünftiges Lobbying“ in Berlin oder Brüssel gab es jedoch nicht. Diese Schwäche rächte sich, als es darum ging, ob Arcandor eine Staatsbürgschaft erhalten sollte oder nicht. „Da hat sich klar gezeigt, dass für uns das Lobbying über den Einzelhandelsverband nicht ausreichte“, meint Koslowski. Vor allem deswegen, weil sich der CEO des direkten Konkurrenten Metro, Eckhard Cordes, öffentlich gegen die Staatsbürgschaft aussprach. „Natürlich hatten Middelhoff und sein Nachfolger Eick gute Kontakte in die Politik, aber das alleine reichte eben nicht mehr. In dieser existenziellen Situation hätte der Konzern breiter aufgestellt sein müssen, zum Beispiel mit einem eigenen Büro oder einer Agentur in Berlin“, findet der 43-Jährige heute.
Keine Ressourcen, etwas aufzubauen
Ein weiteres Problem: Koslowski war nicht nur Leiter Kommunikation, sondern auch der einzige Konzernpressesprecher – und das, obwohl in Essen (Konzern- und Karstadt-Sitz) 20 Leute und in Fürth (Quelle) 15 Leute in der Kommunikation gearbeitet haben. Ihm selbst, so sagt er, seien bei täglich 30 bis 40 Telefonaten mit Journalisten, fünf bis sechs Radio- und TV-Interviews und einer durchschnitt- lichen 80-Stunden-Woche keine Ressourcen geblieben, um in dieser Phase noch etwas aufzubauen. Eine Erklärung dafür, warum sich der Konzern vorher nicht systematisch vorbereitet hatte, findet er nicht. „Man hat in der Vergangenheit vielleicht zu sehr darauf vertraut, dass die eigenen Fähigkeiten und Kontakte ausreichen“, sagt Koslowski. „Natürlich rechnete keiner der Angestellten – auch ich nicht – mit der Pleite seines Arbeitgebers, schon alleine deswegen, weil es sich um ein Unternehmen handelte, das es seit 1881 gibt. Ganz ehrlich: Für diese Situation ist es verdammt schwer etwas vorzubereiten.“ Die Pleite des Konzerns verhindert hätte ein Plan mit ziem-licher Sicherheit nicht.