Preisabsprachen, mangelnder Wettbewerb, Verbraucherschelte – die Architektur des Energiemarktes mit wenigen Großanbietern stellt besondere Anforderungen an die Strombörse EEX. Das Unternehmen mit Sitz in Leipzig ist bestrebt, Transparenz und Wachstum dagegen zu setzen.
Von Roland Karle
Seit Yello den Pinsel geschwungen hat, wissen wir, dass Strom eine Farbe hat, nämlich gelb. Strom ist aber noch viel mehr. Zum Beispiel kann er an die Börse gehen, und zwar an die European Energy Exchange (EEX), die 2002 aus der Fusion der Strombörsen in Leipzig und Frankfurt entstanden ist.
Durch die Liberalisierung des Energiemarkts und die damit verbundene Aufhebung des Strommonopols hatte sich die Notwendigkeit ergeben, Strom wie eine Ware zu handeln und eine Börse zu schaffen. So konnten Käufer und Verkäufer nun Elektrizität nach der ähnlichen Methode erwerben, wie das bei Aktien und Zertifikaten an den traditionellen Wertpapierbörsen schon längst der Fall war. Die Zahl der zugelassenen Handelsteilnehmer an der EEX wächst seit Jahren, derzeit sind rund 250 aus 22 Ländern registriert. Gehandelt wird mit Energie, genauer gesagt: mit Strom, Kohle, Gas und Kohlendioxid-(CO2-)Zertifikaten.
Die Zentrale des europäischen Handelsplatzes für Strom ist in Leipzig zu Hause. Das Hochhaus am Augustusplatz 9 liegt im Zentrum der Stadt, und es trägt einen hübsch-skurrilen Spitznamen. „Weisheitszahn“ nennen die Leipziger das markante Gebäude, in dem Hans-Bernd Menzel Regie führt. Er ist seit fast acht Jahren Vorstandsvorsitzender der EEX und arbeitet beharrlich daran, sein Unternehmen zu einem internationalen Energiebörsen-Netzwerk auszubauen. Ein ehrgeiziger Plan. Menzel macht seine Sache nach Einschätzung von Branchenkennern gut. „Die EEX ist gut positioniert und hat sich zum wichtigsten Energie-Marktplatz in Kontinentaleuropa entwickelt“, urteilt Thomas Haller, Energie-Experte im Wiener Büro der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners.
Europas zweitgrößte Energiebörse
Kundige Beobachter loben Menzels strategisch gerade Linie, das Fachmagazin „Energie & Management“ hat ihn 2007 zum „Energie-Manager des Jahres“ gewählt. Ein Mangel an namhaften Mitbewerbern war schon damals auszumachen. Auch große Blätter wie „Handelsblatt“, „Zeit“ oder „Süddeutsche Zeitung“ widmen dem Mann mehrspaltige Porträts, der zu den Pionieren des liberalisierten Energiemarkts gehört.
Vor zehn Jahren starteten in Deutschland die ersten Energiebörsen – in Leipzig und in Frankfurt. Das Aufeinanderzugehen war im Grunde nur eine Frage der Zeit und ein Gebot der Einsicht, dass man gemeinsam stärker ist. Also kam es zwei Jahre später zur Vermählung der beiden Börsenplätze, man einigte sich auf den Familiennamen EEX und den Standort Leipzig. Längst blickt der ehedem kleine Handelsplatz über den deutschen Markt hinaus. Hinter der Intercontinental Exchange (ICE) in London ist die EEX heute die zweitgrößte Energiebörse Europas.
Im vergangenen Jahr haben Finanzinvestoren ihre Nachfrage nach Strom am Terminmarkt reduziert, und der tatsächliche Energiebedarf in der Industrie war rückläufig. Die Wirtschaftskrise, nun ja, hat auch das stets stramm wachsende Geschäft der Strombörse in Sachsen beeinträchtigt, die gerade veröffentlichten Zahlen für das Jahr 2009 belegen es: Der EEX-Umsatz fiel von 43,2 Millionen Euro im Jahr 2008 auf 34,6 Millionen Euro in 2009. Der Erlösrückgang fällt freilich freundlicher aus, wenn man berücksichtigt, dass der Umsatz der Tochtergesellschaft EEX Power Spot von 8,2 Millionen Euro inzwischen nicht mehr zum EEX-Konzern dazugerechnet wird. Dann ergibt sich gerade mal ein Minus von 1,1 Prozent. Aber: Zum ersten Mal in der Firmengeschichte konnte der Vorjahresumsatz nicht übertroffen werden.
Finanzvorstand Iris Weidinger spricht trotzdem von „ordentlichen Geschäftsergebnissen“, und kann das gut begründen: Schließlich bewegt sich der Vorsteuergewinn mit beachtlichen 25,8 Millionen Euro auf Vorjahresniveau, der seit Unternehmensgründung bestehende Verlustvortrag wurde zum Jahresende 2009 komplett abgebaut und zum ersten Mal eine Dividende ausgezahlt. Darüber freuen sich die Aktionäre, zuvorderst die Mehrheitseigner Eurex aus der Schweiz mit einem Anteil von rund 35 Prozent und die Landesbank Baden-Württemberg, die knapp 23 Prozent hält. Die restlichen Anteile in jeweils prozentual einstelliger Höhe gehören mehr als 40 Energiefirmen, Banken, Kommunen undLandesgesellschaften.
Diffizil, komplex, knifflig
Über Energiemärkte und vor allem über die Kosten für den Endverbraucher wird immer öfter heiß diskutiert. Erst kürzlich setzte Holger Krawinkel von der Verbraucherzentrale Bundesverband in „Bild“ zur Generalkritik an: Während die Preise für Elektrizität im Großhandel an der Strombörse EEX seit 2009 um 40 Prozent gesunken seien, hätten die Energieversorger die Strompreise für den Verbraucher erneut angezogen. Das Zustandekommen dieser Preisschere ist schwer verständlich und sorgt allemal für Unmut.
Auch wenn die EEX in diesem Zusammenhang nicht direkt geohrfeigt wird, gerät sie leicht in den Strudel hitziger Debatten. „Wie mit Energie gehandelt wird und wie die Preise entstehen, das ist eine sehr komplexe Materie. Für Otto Normalverbraucher ist das oft nicht leicht zu verstehen“, sagt Daniel Dodt, Leiter Redaktion von Toptarif.de. Das Vergleichsportal erklärt Preisbewegungen und gibt Prognosen ab. „Das Geschehen an der Strombörse beeinflusst natürlich die Preisbildung, daraus ergibt sich aber nicht direkt der Verbraucherpreis, weil die Stromanbieter weitere Faktoren wie staatliche Abgaben und Transportkosten mit einkalkulieren“, erläutert Dodt die Zusammenhänge.
Auch der Spotmarkt der Deutschen Strombörse für den Handel mit Emissionsrechten ist für viele Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. Der CO2-Handel soll den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase verringern helfen. Weil die Unternehmen für jede Tonne CO2 Emissionsrechte erwerben müssen, sollten sie daran interessiert sein, ihren Ausstoß möglichst gering zu halten. Doch das System hat so seine Lücken. Eine besteht darin, dass nicht alle Unternehmen die Rechte erwerben müssen. Eine andere ist beispielsweise, dass es zahlreiche Sonderregelungen gibt. Letztlich ist der Handel weit vom Ideal der Theorie entfernt. So schätzt die europäische Polizeibehörde Europol, dass der betrügerische Handel mit CO2-Zertifikaten Ende 2009 in Europa einen Schaden von mehr als fünf Milliarden Euro verursacht hat.
Wenn die Energiepreise in die Höhe schießen, klingelt auch in Leipzig öfter mal das Telefon. Dann fragen Journalisten nach, was los sei und welche Erklärungen es dafür gebe. Das ist deren klassische Vorgehensweise. Denn entstehen nicht an der Börse die Preise? EEX-Boss Menzel spricht dann gern davon, dass sie in Leipzig lediglich das „Fieberthermometer“ für den Markt seien. Dieses Messinstrument bildet allerdings nur einen Ausschnitt des Gesamtmarktes ab. Den größten Teil des Ein- und Verkaufs von Strom wickeln die Unternehmen direkt unter sich ab. Jedoch orientieren sich alle Marktteilnehmer, auch wenn sie nicht an der Börse handeln, an den Leipziger Kursen. „Die Preisfindung im Energiesektor ist generell schwierig“, sagt Berater Thomas Haller. „Deshalb verlässt man sich am ehesten auf die Börsendaten.“
Durchblick angestrebt
Die Architektur des deutschen Energiemarktes mit den vier beherrschenden Konzernen EnBW (Karlsruhe), E.ON (Düsseldorf), RWE (Essen)und Vattenfall (Berlin) stellt besondere Anforderungen an die Strombörse. In unregelmäßigen Abständen werden kritische Stimmen laut, dass die Großen im Handel künstlich die Preise hochtreiben würden. „Sowohl auf Anbieter- wie auf Nachfragerseite haben wir es mit Oligopolen zu tun, da kann es prinzipiell leicht zu Manipulationen kommen“, sagt Markus Voss, Redakteur des Wirtschaftsmagazins „Focus Money“. Die EEX habe das Problem allerdings angepackt. „Das Bemühen um mehr Transparenz ist erkennbar“, so Voss.
Auch der Manager eines Energie-Unternehmens, der lieber ungenannt bleiben möchte, stellt den Leipzigern ein gutes Zeugnis aus. „Zahlreiche Börsenteilnehmer sind zugleich Anteilseigner, da kommt schnell Kritik auf. Aber die EEX hat sich tatsächlich als unabhängige Plattform etabliert, die sich nicht für Einzelinteressen einspannen lässt“, behauptet er. Wachstum ist für das Management der Strombörse deshalb kein Selbstzweck, sondern sichert das Geschäftsmodell. „Je höher die Liquidität der einzelnen Märkte, desto sicherer wird der Handel“, ist sich Oliver Maibaum, Geschäftsführer der Tochtergesellschaft EEX Power Derivatives, sicher.
Mutmaßungen über intransparente Marktstrukturen, Informationsverzerrungen und zu geringen Wettbewerb hat die EEX in besondere Hab-Acht-Stellung versetzt. In ihrem Geschäftsbericht liest sich die Antwort darauf so: „Wir nehmen die Kritik und das damit latent verbundende Misstrauen ernst.“
„Für die Kommunikation der EEX ist es eine herausfordernde Aufgabe, Transparenz und Glaubwürdigkeit herzustellen“, sagt Branchenexperte Haller. Unterm Strich müssten allerdings alle Beteiligten, also auch die großen Konzerne, ein gemeinsames Interesse an einem guten Image haben. „Vertrauen ist für das Funktionieren einer Börse und die damit verbundene Preisfindung unerlässlich“, so Haller.
Folgerichtig hat die EEX im Oktober vergangenen Jahres zusammen mit deutschen Übertragungsnetzbetreibern eine
Transparenzplattform für Erzeugungs- und Verbrauchsdaten gestartet. Ziel ist, die Nachvollziehbarkeit der Marktpreisbildung und das Vertrauen von Öffentlichkeit und Markteilnehmern in die Märkte zu stärken sowie die europäische Marktentwicklung voran zu treiben.
Ins Gespräch kommen
Auch der klassischen Öffentlichkeitsarbeit unter Leitung von Katrin Berken misst die EEX eine hohe Bedeutung bei. Neben der täglichen Pressearbeit werden immer wieder Veranstaltungen genutzt, um mit Entscheidern aus Wirtschaft und Politik, Medienleuten und der interessierten Öffentlichkeit ins Gespräch zu kommen. Journalisten können dann den Vorstandsvorsitzenden live erleben. Bei einem Presse-Event in Frankfurt übernahm Hans-Bernd Menzel die Rolle des Moderators und lud sich Experten aus der Finanz- und Energiebranche ein. Thema des Workshops: „Börslicher Energiehandel und Clearing – Sicherer Hafen in stürmischen Zeiten“.