Bitte nicht „Grützi“ sagen
Für deutsche PR-Profis ist der Arbeitsmarkt Schweiz bislang eine echte Alternative. Doch Deutsche werden dort zurzeit nicht von allen mit offenen Armen empfangen. Von Geraldine Friedrich
Alles halb so wild, lautet zunächst der Tenor Schweizer PR-Profis, wenn man sie zur Situation deutscher PR-Manager in der Schweiz befragt. „Viele hochrangige PR-Jobs sind in der Schweiz mit Ausländern besetzt, egal ob Briten, Amerikaner oder Deutsche. Das ist nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich ist, dass man jetzt verstärkt darüber spricht“, findet Aloys Hirzel, geschäftsführender Partner der Kommunikationsberatung Hirzel Neef Schmid Konsulenten aus Zürich. „Viele gute Leute kommen aus Deutschland. Wenn es professionell wird, spielt die Herkunft keine Rolle“, meint auch Hans Hofmann, Inhaber von Hofmann Media & Partner in Zürich, einer der führenden Headhunteragenturen für die Segmente Public Relations, Marketing und Journalismus in der Schweiz. Er habe noch nie für einen Auftraggeber gearbeitet, der ihm gesagt hätte, die Stelle müsse mit einem Schweizer besetzt werden. Hofmann vermittelt regelmäßig auch deutsche Kommunikationsprofis an Schweizer Unternehmen.
Fidel Stöhlker, geschäftsführender Partner der PR-Agentur Stöhlker AG aus Zollikon bei Zürich, sieht das anders: „Es kommt darauf an. Bei den großen Konzernen ist es egal, wo sie herkommen. Doch bei kleinen und mittleren Unternehmen, damit meine ich auch PR-Agenturen, spielt es schon eine Rolle. Es gibt in der Schweiz Ressentiments gegen Deutsche, auch in unserer Branche.“ Schweizer Medien und Politiker greifen das Thema „Deutsche beziehungsweise Ausländer in der Schweiz“ in regelmäßigen Abständen kritisch auf. Dabei wirkt die Wortwahl mitunter negativ. Oftmals „strömen“ Deutsche „in Scharen“ in die Schweiz. Ausländer – und damit natürlich auch die Deutschen – nehmen nach Meinung der Schweizer Volkspartei (SVP) in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Schweizern nicht nur die Jobs weg, sondern auch die Studienplätze.
Riesenfettnapf Sprache
Eleonore Wettstein, Öffentlichkeitsarbeiterin beim Ausländeramt in Basel, laufe es denn auch „kalt den Rücken runter“, wenn sie „dieses unreflektierte Gedankengut“ gegen Deutsche höre und lese. Sie persönlich sehe das Verhältnis zu den Deutschen entspannt. Man müsse zwischen den Medien und den ganz persönlichen Erfahrungen, die Deutsche und Schweizer miteinander machen, unterscheiden. Wettstein veranstaltet seit etwa zwei Jahren Informationsabende, in denen sie neuzugezogene Ausländer über die Mentalität der Schweizer aufklärt. „Die Deutschen sind meiner Erfahrung nach die Ausländergruppe, die am meisten fragt und am ehesten bereit ist, sich zu integrieren“, so Wettstein. Das Bild des arroganten schnell sprechenden Deutschen entstand ihrer Meinung nach dadurch, dass viele Schweizer Mühe haben, Hochdeutsch zu sprechen, und sich deswegen oftmals unterlegen fühlen. „Auch für mich war als Kind Hochdeutsch immer so ein Fernsehdeutsch, das blöffig (= angeberisch, Anm. d. Red.) wirkt. Und dann sprechen manche Deutsche die Schweizer Begrüßung ‚Gruezi‘ manchmal mit ,Grützi‘ noch grottenfalsch aus – das klingt dann in den Ohren eines Schweizers wie Kabarett.“ Die Beziehung zwischen Deutschen und Schweizern ist aber nicht nur ein Dauerbrenner für die Schweizer Medien, sondern auch für die deutsche Presselandschaft. „,Der Spiegel‘, ,Focus‘, ,Die Zeit‘, viele der großen deutschen Medien haben mich schon zu dem Thema angefragt“, bestätigt Wettstein.
Auch Helmut Elbert, der seit 17 Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit der Chemischen Industrie in Basel arbeitet, weiß um die Befindlichkeiten. Für einen Schweizer sei Hochdeutsch zu sprechen „fast wie das Sprechen in einer Fremdsprache“, so Elbert, daher biete er, wann immer er mit Schweizern zu tun habe, von sich aus gleich zu Beginn eines Gesprächs an, dass sie „ruhig ihren Dialekt“ sprechen können. Im Gegenzug warnt er Deutsche davor selbst Schweizerdeutsch zu sprechen. „Andere Kollegen versuchen es, ich finde es für mich schräg und weiß auch von vielen Schweizern, dass dies nicht so gut ankommt.“ Freundlich gemeinte Sprachexperimente wirken auf Schweizer denn auch, als wolle man sich über sie lustig machen. Nur das Anhängen der Silbe „li“ an ein Substantiv – etwa statt „Franken“ „Fränkli“ – ist eben noch kein Schweizerdeutsch. Wer als Süddeutscher Experimente des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ erlebt, süddeutsche Konversation in Dialektform wiederzugeben, kann sich in die Lage der Schweizer hineinfühlen.
Sprachtempo, Höflichkeit und Hierarchiedenken
Viele Schweizer fühlen sich tatsächlich vom deutschen Gesprächstempo überrumpelt. Erst kürzlich erlebte Elbert eine Situation, in der die PR-Beraterin einer großen deutschen Agentur einem fast ausschließlich Schweizer Publikum ihr Konzept für eine Internetplattform präsentierte, in der es um die Nachwuchsarbeit für die Chemische Industrie geht. „Die Dame sprach selbst für deutsche Verhältnisse extrem schnell. Ich schaute mir das am Anfang amüsiert an, denn ich konnte richtig beobachten, wie all die Schweizer Kollegen, allesamt Leute aus der Unternehmenskommunikation verschiedener Chemiekonzerne, abgeschaltet haben“, beschreibt der 56-Jährige die Situation.
„Man wirft uns Schweizern vor, dass wir langsamer sind. Aber manchmal ist es vielleicht auch besser, wenn man die Worte sorgsam wählt, bevor man den Mund aufmacht“, findet Monique Juillerat, Corporate Director Public Relations bei Endress Hauser in Reinach bei Basel. Ihr fällt immer wieder bei deutschen PR-Agenturen und Freiberuflern auf, dass diese, wenn sie für ein Schweizer Unternehmen arbeiten, oftmals wie selbstverständlich das deutsche Hochdeutsch in Pressemitteilungen und Artikeln verwenden – und nicht das Schweizer Hochdeutsch. So gibt es im Schweizerischen kein scharfes S, sondern nur ein Doppel-S. „Bei Endress Hauser haben wir das inzwischen diskutiert und uns für die deutsche Schreibweise entschieden. Wir sehen die Unterschiede auch humorvoll“, meint Juillerat, die ein Team aus zwei Schweizern und einem Deutschen leitet. Auch messen Deutsche den Hierarchien in einem Unternehmen eine sehr viel größere Bedeutung bei als die Schweizer. Juillerats Vorgänger, ein Deutscher, habe zwar im Team diskutieren lassen, die Entscheidungen aber allein getroffen. Sie wolle dagegen, typisch schweizerisch, möglichst alle Teammitglieder für eine Idee gewinnen. „Das hat erst einmal zu Irritationen geführt, mir wurde gesagt: Du führst ja gar nicht“, so die 44-Jährige.
„Die Deutschen sind oft direkter“
Der deutsche Führungsstil „par ordre de mufti“ gilt bei vielen Schweizern als zu grob, die deutsche direkte Art ist den meisten zu undiplomatisch. „Ich habe mal erlebt wie zwei junge deutsche Unternehmensberater im Brioni-Anzug ihren Zuhörern erklärt haben, was die Schweizer in der Schweiz alles falsch machen. Die wurden absolut nicht ernst genommen“, berichtet Fidel Stöhlker. Der Schweizer PR-Berater kennt die deutsche als auch die schweizerische Mentalität aus nächster Nähe, denn sein Vater, Klaus J. Stöhlker, ursprünglich Deutscher, gründete die PR-Agentur, der er jetzt zusammen mit seinem Bruder Raoul vorsteht. Während er seinen Vater als direkt bis undiplomatisch beschreibt, habe er in seiner Ausbildungszeit in Berlin erfahren, wie deutsche Kollegen sich über ihn als „langsam sprechenden Schweizer“ lustig machten.
Während es in Deutschland als dynamisch gilt, schnell zu sprechen, und geradezu verpönt ist, bei offiziellen Anlässen oder geschäftlichen Besprechungen Dialekt zu benutzen, ist das in der Schweiz völlig anders. In Vorträgen, Fernsehdiskussionen oder Interviews spricht man in der Regel Schweizerdeutsch. Das ist für deutsche Medienverantwortliche ungewohnt und kann sie im Umgang mit Schweizer Medien vor unerwartete Herausforderungen stellen. „Wenn ein Schweizer Lokalradiosender bei der Pressestelle eines Schweizer Unternehmens anruft, erwartet der Redakteur natürlich, dass mindestens einer im Unternehmen auch ein Interview auf Schweizerdeutsch geben kann“, meint Christopher Prein, der zehn Jahre als Journalist bei verschiedenen Basler Radiosendern gearbeitet hat und mittlerweile Verkaufsteams schult sowie Unternehmen bei der Einstellung von Führungspersonal berät. Einmal habe ein Kunde explizit gesagt, dass er lieber Schweizer als Deutscher einstellen wolle – weil es besser für das Team sei. Prein, in Hamburg geboren und in Riehen bei Basel aufgewachsen, sieht das Verhalten Deutscher, die in der Schweiz arbeiten, durchaus kritisch: „Viele kommen mangelhaft vorbereitet ins Land und benehmen sich so, als sei die Schweiz das 17. deutsche Bundesland. Und einige kommen auch nur hierher, weil sie schlicht Geld verdienen wollen – es ist ja nicht immer viel mehr – und pendeln dazu noch zwischen der Schweiz und ihrer alten Heimat Deutschland hin und her.“ Für die PR-Branche gilt: Pressesprecher oder PR-Berater ohne oder nur mit geringer Personalverantwortung verdienen in der Schweiz besser als in Deutschland, obere Chargen wie Kommunikationschefs oder Vorstände bekommen in der Schweiz aufgrund der kleineren Marktgröße eher gleich viel bis weniger Salär.
Anders als Personalberater Prein argumentiert dagegen Regula Ruetz, Präsidentin des Schweizerischen PR-Verbands PR Suisse und Geschäftsführerin der Kommunikationsagentur Ruweba in Riehen bei Basel. Sie schätzt die Mentalität der Deutschen. „Die Deutschen sind anders als die Schweizer; sie sind oft direkter und kommen schnell auf den Punkt.“ Nicht gut komme jedoch an, wenn PR-Profis sich selbst zu stark in den Vordergrund stellen und „sich inszenieren“, das entspräche weder der Schweizer Mentalität noch dem Berufsverständnis der PR-Branche. Das zählt laut Ruetz aber nicht nur für deutsche PR-Schaffende, sondern auch für schweizerische. PR Suisse hat derzeit etwa 1.700 Mitglieder, darunter auch Firmen. Erhebungen, wie viele Mitglieder Deutsche oder Ausländer sind, gibt es nicht. Ruetz: „Die meisten ausländischen PR-Schaffenden arbeiteten in den großen Konzernen, die oft als Kollektivmitglieder unserem Verband angeschlossen sind“, so Ruetz. Die Zahl der ausländischen Berufsmitglieder im Verband sei laut Ruetz „vernachlässigbar“, weil es dank „ausgezeichneter PR-Ausbildungen in der Schweiz“ keinen Mangel an guten PR-Profis gebe.