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News / Im Wortmixerlabor sind starke Zutaten gefragt
Sebastian Vesper
14.03.2011   News
Im Wortmixerlabor sind starke Zutaten gefragt
 
Als Britta und ich vor ziemlich genau einem Jahr in eine neue Wohnung zogen, fragten die Vormieter höflich, ob sie das kleine Bücherregal entfernen sollten. Das Bemerkenswerte an dem kleinen Bücherregal ist, dass es in die Wand hinter dem WC eingelassen ist. Weil wir Bücher lieben und weil man ja nie genug Regalfläche haben kann, fiel die Entscheidung leicht. Gedrucktes aller Zeiten, das nicht ins Wohnzimmer, ins Arbeitszimmer oder auf den Nachttisch passt, sammelt sich seither in Deutschlands kleinster Universalbibliothek.
Auf drei Regal-Etagen tun sich dem interessierten User kleine Schätze der Weltliteratur auf: von Wilhelm Buschs „Bildergeschichten“ über den „Herrn der Ringe“ (ja, selbstredend: alle drei Bände), eine „Dschungelbuch“-Ausgabe aus den Fünfzigern und den Klassiker „Joy of Sex“ (aus den Siebzigern, mit Radierungen!) bis hin zu Shakespeare und dem Neuen Testament. Letzteres sogar in zwei graduell konkurrierenden Übersetzungen. Das kleine Regal auf der Doppelnull, das Abendland in einer Nussschale.

Zwischen „Tristan“ und „Geizhals“
Die Agentur fischerAppelt hat unser modernes Antiquariat neulich um sensationelle 0,4 Regalzentimeter bereichert: mit der Idee, das unter Beratungsfirmen allgemein ja stark ausgeprägte Mitteilungs- und Kommunikationswelterklärungsbedürfnis auf ihre unnachahmliche Weise in 21 „Thesen“ auszuwuchten. „Deklaration für einen Kurswechsel in der Meinungslandschaft“ (kurz: „Dek21“) ist das Werk überschrieben, und es ist vor allem deshalb so wunderbar kompatibel mit unserer kleinen WC-Bibliothek, weil es sich gestaltlich ausnimmt wie ein echtes Reclam-Heft. Damit passt das Büchlein ganz einfach supergut zwischen Thomas Manns schwermütigen „Tristan“ und das amüsante Libretto des Stücks „Der Geizhals“ von Molière. Die „Dek21“-Thesen von fischerAppelt beginnen mit dem dramatischen Befund: „Wahrnehmung und Relevanz leiden unter der Unübersichtlichkeit von Auftritten und Bühnen“ – und sie enden mit der Forderung, PR müsse „schärfen statt glätten“. Wohl wahr. Wo wäre die Zivilisation ohne die schärfende, erklärende Stimme mutiger PR-Menschen, in deren Wortlaboratorien aus einer Firmengruppe eine Föderation wird, PR zur Kommunikationsprokura erblüht und sich eine Agenturbroschüre zu einer Deklaration auswächst? Brauchen wir immer stärkere Bilder und sprachliche Figuren, um im allgemeinen Geblubber überhaupt noch durchzudringen? Es scheint so. Umso besser, wenn einer den Cocktail so gut und stark mixen kann wie fischerAppelt. „Früher waren die Positionen radikal und die Kommunikation musste moderieren“, heißt es im Vorwort. „Heute sind die Positionen moderat, also muss die Kommunikation pointieren.“ Das hat was.

„Alle mitziehen!“
Dank W-LAN kann man auf unserem Klo barrierefrei twittern und facebooken. Man kann also auch die „Debatte“ auf dek21.com verfolgen und, herrlich, abseits von Inhalten über Kommunikation als solche kommunizieren. Für alle, die ihr mobiles Endgerät nicht immer zur Hand haben, sei der bemerkenswerte Absatz, den Johannes Schnitter (fischerAppelt) am 5. März auf der Website unter die letzte These hämmerte, an dieser Stelle noch einmal gedruckt wiedergegeben, auf dass er der Nachwelt erhalten bleibe: „Ein Kurswechsel ist ein Kurswechsel ist ein Kurswechsel. Dazu muss man das Rad nicht neu erfinden. Aber man muss das, was man für gut und richtig erachtet hat, auch umsetzen. Und da sind wir allesamt gefordert, mitzuziehen. Unsere Deklaration ist die Richtung. Just do it.“

Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket in Deutschland. Von 1997 und 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.

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