Ende der Erfolgswelle?
Die Kreuzfahrtbranche verzeichnete 2009 ein Umsatzplus von 14 Prozent. Auch in diesem Jahr sollen elf neue Schiffe in Dienst gestellt werden, das Bettenangebot wächst. Die Reedereien stehen vor der Aufgabe, Urlauber vom Land aufs Meer zu holen. Über ihre Strategien berichtet Michaela Ludwig
Zwei Spektakel haben schon zu Jahresbeginn Kreuzfahrtanhänger aus der ganzen Republik in den Hamburger Hafen gelockt. Unter dem Motto „When Fire meets Ice“ taufte Designerin Jette Joop die Aidablue, das erste Schiff mit einer eigenen Brauerei an Bord. Kurz darauf wird im norddeutschen Winter „Karneval in Venedig“ gefeiert. Eine auf dem Wasser schwimmende Großbildleinwand überträgt, wie Sophia Loren das Band der MSC Magnifica kappt und wie der italienische Popstar Eros Ramazzotti auftritt.
Zu diesen medialen Inszenierungen passt die alljährliche Erfolgsmeldung des Deutschen ReiseVerbands (DRV) auf der ITB in Berlin: „Kreuzfahrt weiter auf Erfolgskurs“. Die Veranstalter von Hochsee- und Flusskreuzfahrten haben 2009 über 1,4 Millionen Passagiere, das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr, über die Flüsse und Meere der Welt befördert. Zu diesem Ergebnis kommt die vom DRV in Auftrag gegebene Branchenanalyse „Der Kreuzfahrtenmarkt in Deutschland 2009“. Während die Reisebranche insgesamt unter einem Umsatzrückgang von drei Prozent leidet, gehört das Kreuzfahrtgeschäft derzeit zu den „am stärksten wachsenden touristischen Segmenten“, so Michael Thamm, Vorsitzender des DRV-Ausschusses Schifffahrt. „Die Zahl der Menschen, die die Kreuzfahrt als Reiseart entdecken, nimmt kontinuierlich zu.“
Die Entwicklung der Kreuzfahrtindustrie ist beeindruckend. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Hochseepassagiere verdreifacht, und im vergangenen Jahr konnte erstmals die Schallgrenze von einer Million Passagieren geknackt werden. Doch Skeptiker befürchten, dass der Markt – angesichts der weltweiten Finanzkrise und des Einbruchs der Reisebranche – bald gesättigt ist. Denn auch in diesem Jahr drängen wieder elf neue Schiffe auf die Weltmeere, darunter ein deutsches. Das größte bietet Platz für 5.400 Passagiere, damit vergrößert sich das Angebot insgesamt um 25.000 Plätze. Dieser Neubauboom ist jedoch nicht Folge der Auslastung. Vielmehr waren die Schiffe bereits vor der Wirtschaftskrise geordert und konnten schlicht und ergreifend nicht abbestellt werden. Nun gilt es für die Anbieter, die frisch bezogenen Kojen zu belegen.
Da auch Kreuzfahrtpassagiere zunehmend dazu tendieren, kurzfristig zu buchen, warben die Anbieter bereits im Krisenjahr 2009 mitunter mit kräftigen Rabatten. Der „Stern“ registrierte Unruhe in der Branche. In dem Beitrag „Passagiere verzweifelt gesucht“ wurde der Preiskampf auf 3- und 4-Sterne- Schiffen beschrieben. So bietet ein Frankfurter Reisebüro Abwrackprämien für Koffer, andere locken mit „Kindergeld“ oder Frühbucherrabatten. Im Luxussegment werden keine Rabatte, sondern „Extras“ angepriesen: eine Einladung zum Cocktail mit dem Kapitän, spezielle Serviceleistungen oder ein gratis Economy-Flug bei einer Buchung erster Klasse. Ist die Wachstumsgrenze der Branche erreicht?
Überkapazitäten nicht vorhanden
Dem widerspricht Kreuzfahrtexperte Helge Grammerstorf von der Hamburger Beratungsgesellschaft SeaConsult entschieden. Er geht davon aus, dass das Marktwachstum mit den steigenden Kapazitäten Schritt hält. Das geschehe jedoch zeitverzögert, weshalb auch in diesem Jahr wieder Angebotsaktionen zu erwarten sind.
Allerdings warnt Helge Grammerstorf vor extremen Rabattaktionen: „Für den Markt würde ich mir wünschen, dass sie es nicht tun. Durch Sonderangebote wird der Kuchen nicht größer, sondern die Tortenstücke nur anders verteilt.“ Bei den Veranstaltern stehe häufig die Auslastung des eigenen Schiffes vor der Marktstabilität. Durch einen Wettbewerb über den Preis werden jedoch kaum neue Zielgruppen erschlossen.
Auch die Anbieter selbst sehen keine Überkapazitäten auf dem Markt, und Michael Thamm vom DRV gibt sich von Berufs wegen optimistisch: „Die zahlreichen neuen, für 2010 geplanten Hochsee- und Flusskreuzfahrtschiffe werden die Nachfrage weiter ankurbeln, denn das Interesse am Urlaub auf dem Wasser ist ungebrochen groß.“
Ohne Dresscode und Captain’s Dinner
„Kein Grund zur Panik“ heißt also die offizielle Parole auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt, den die Anbieter als extrem ausbaufähig beschreiben. „Im Vergleich zu 40 Millionen verkauften Pauschalreisen pro Jahr stellt der Markt in Deutschland noch eine Nische dar“, versichert Helge Grammerstorf. „Die Zielgruppen sind da, die Potenziale noch lange nicht erschöpft.“ Während bisher erst einer von hundert Deutschen in See sticht, sei die Zahl beispielsweise in den USA mehr als dreimal so hoch.
Das Gebot der Stunde lautet demnach, das Produkt „Kreuzfahrt“ populärer und für neue Kunden attraktiv zu machen. Dabei hat sich das Produkt bereits grundlegend gewandelt. Bis vor zehn Jahren galten Kreuzfahrten als elitär, „man hat sich in der ,Bunten‘ die Bilder angeschaut, aber es war keine eigene Urlaubsoption“, so Helge Grammerstorf. Das Traumschiff schickte Geschichten vom distinguierten Bordleben mit Hummer und Kaviar beim Kapitänsdinner und Gästen in Smoking in deutsche Wohnzimmer.
Die klassischen, exklusiven Kreuzfahrten werden auch heute noch angeboten. Doch mit dem Stapellauf der „Cara“, dem ersten Schiff der AIDA-Flotte, wurde der Markt 1996 demokratisiert. Kreuzfahrten wurden für weitere Bevölkerungsschichten erschwinglich. Das Schiff funktioniert auch heute noch nach dem Prinzip „Ferienclub“: ohne Dress-code und Captain’s Dinner.
Der Slogan „Kreuzfahrt war gestern, Clubschiff ist heute“ stand für eine neue Reiseform, mit der eine neue Zielgruppe erschlossen wurde. Neben der alten Kreuzfahrtsidee entstand eine neue: die des alltäg- lichen Urlaubs. Angesprochen wird nicht mehr nur der typische Kreuzfahrtkunde, sondern der Pauschalreisende.
Die zum US-Kreuzfahrtkonzern Carnival gehörende „AIDA Cruises“ ist heute Marktführer in Deutschland und betreibt sieben Schiffe, das achte läuft bereits im nächsten Jahr vom Stapel. Anstelle betuchter Rentner wurden insbesondere Familien als neue Kunden entdeckt. So bietet AIDA Cruises auf ihren Schiffen in den Sommerferien spezielle Kinderprogramme mit Betreuung an. „Wir holen unsere Zielgruppe vom Landurlaub aus den Vier- bis Fünf-Sterne-Ressorts aufs Wasser“, sagt Hansjörg Kunze, Director Corporate Marketing & Communications bei AIDA Cruises. „Wir wollen die Kunden überzeugen, dass dies die bessere Pauschalreise ist.“ Ob Badeurlaub, Städte- oder Entdeckerreise, – all diese Elemente lassen sich auf einer Kreuzfahrt verbinden. „Das Produkt ist die legere Kreuzfahrt: sehr kommunikativ, eher lebenslustig als konventionell“, beteuert Hansjörg Kunze.
Schiffe und Anbieter sind kaum vergleichbar
Mit der Industrialisierung der Kreuzfahrt einher geht auch eine veränderte Markenbildung. In den Zeiten der klassischen Kreuzfahrten war das Schiff die Marke, man denke an das „Traumschiff“, die MS Deutschland. Bei den neueren und größeren Unternehmen wie der italienischen Reederei MSC Kreuzfahrten oder eben der Rostocker AIDA Cruises zielt die Markenbildung auf eine Dachmarke ab, die einzelnen Schiffe sind mehr oder weniger austauschbar. So ziert die Flotte der typischen „One-Brand-Company“ AIDA der berühmte Kussmund, der „die Kommunikation ungemein erleichtert“, versichert Hansjörg Kunze. Der überdimensionale Mund auf dem Bug ist längst ein Markenzeichen, die Identifikation des Stammpublikums sei enorm.
War die Kreuzfahrt in den guten, alten Zeiten noch homogenes Produkt, sind Schiffe und Anbieter heute kaum noch vergleichbar. „Kreuzfahrten gibt es heutzutage für jeden Geschmack, für jeden Geldbeutel und für jede Generation“, so Michael Thamm. „Heute gibt es für jeden Urlaubstypen das passende Kreuzfahrtschiff – vom Flussschiff über Club- oder Expeditionsschiff bis hin zu riesigen Ozean-Linern.“ Die unterschiedlichen Zielgruppen sind nicht austauschbar. Wer die AIDA liebt, fühlt sich auf der Deutschland, dem klassischen Kreuzfahrtschiff, eher unwohl – und umgekehrt.
Ein Joint Venture der TUI AG mit dem US-amerikanischen Kreuzfahrtanbieter Royal Caribbean International sorgt für neue Konkurrenz auf dem deutschen Markt. Mit „Mein Schiff“ ist TUI Cruises im vergangenen Jahr ebenfalls in das gehobene Massenkreuzfahrtgeschäft eingestiegen. Wie die AIDA richtet sich auch TUI Cruises an deutschsprachige Urlauber, die sonst ihre Ferien meistens im Hotel verbracht haben. Vorher hatte TUI über die Tochter Hapag Lloyd Kreuzfahrten im deutschsprachigen Markt nur teure Luxuskreuzfahrten und Expeditionsreisen angeboten.
Das Schiff als Destination
Zwischen der traditionellen Kreuzfahrt und dem Clubschiff mit Animation und „buffetlastiger Gastronomie“ positioniert Annette Engelke, Director Communications von TUI Cruises, „Mein Schiff“. „Dieser Bereich wurde bislang von deutschen Anbietern nicht besetzt“, so Engelke. „Die Gäste sollen bei uns Rückzug, Entspannung und guten Service finden.“ Das „Wohlfühlen“ stehe über allem. Dazu gehöre auch, und das wird bereits durch den Namen transportiert, dass die Bordsprache deutsch ist.
Engelke umschreibt die „Mein-Schiff“-Zielgruppe als reiseerfahren, qualitätsbewusst und einkommensstark. Außer der Sprache ist auch die Ausstattung des Schiffes auf die Ansprüche der deutschen „Babyboomer“ ausgelegt: Jeder Morgen an Bord beginnt für den Gast mit einer Tasse Espresso, die er ungestört auf seiner Veranda in der Hängematte liegend genießt. Das einst vorwiegend internationale Kreuzfahrtgeschäft wird nationalisiert.
Mit diesem Profil spricht „Mein Schiff“ eine vollkommen andere Zielgruppe an als die Flotte ihrer Muttergesellschaft, der Royal Caribbean International. Auf der „Oasis of the Seas“ beispielsweise, dem längsten, breitesten und teuersten Schiff der Welt, das in diesem Jahr mit der „Allure of the Seas“ noch ein Schwesterschiff erhält, wird das Schiff selbst zur Destination. Sie bietet sieben verschiedene Lifestyle-Areale – von einem echten Park auf See über die „FlowRider“-Surfanlagen bis zu Shows im Wasser, auf dem Eis und in der Luft. „Die Marke steht für einen aktiven, erlebnisreichen Urlaub mit vielseitigen Sport-, Erholungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten an Bord, internationalem Publikum, einer abwechslungsreichen Küche sowie erlebnisreichen Landausflügen“, so Tom Fecke, General Manager für Deutschland und die Schweiz. Dabei gehe es nicht um die Größe des Schiffes, sondern um die Vielfalt an Bord. „Das polarisiert sicherlich, aber genau das haben wir in den letzten 35 Jahren schon immer gemacht.“ Konsequenz der Länge von 360 Metern ist jedoch, dass nur noch große Häfen angelaufen werden können.
Angesichts dieser Vielfalt von Angeboten und Anbietern ist ein scharfes Markenprofil unabdingbar. „Ich muss ein klares Bild im Kopf des potenziellen Gastes wecken. Die Reise muss schon vorher gedanklich erlebbar sein“, erläutert Annette Engelke von TUI Cruises. „Wir verkaufen das Dienstleistungsversprechen Kreuzfahrt.“ Mit unterschiedlichsten Events zu Wasser und zu Lande wird das Profil geschärft. Es gilt, Geschichten zu erzählen. So hat TUI Cruises allen Flitterwöchnern, die am 9.9.09 geheiratet und zwei Tage später die Hochzeitsreise auf der „Mein Schiff“ rund um Westeuropa angetreten haben, ein Versprechen gegeben: Wenn der Gynäkologe nach der Reise eine Schwangerschaft bescheinigt, gibt es den Fahrpreis zurück. „Leider hat es kein Paar geschafft“, bedauert Annette Engelke. „Die Geschichte hätten wir gerne für unsere Kommunikation genutzt.“ Die Reedereien locken mit Auftritten von den Wiener Philharmonikern bis hin zu Künstlern wie Udo Lindenberg oder Jan Delay. Kochkurse und Sportevents dagegen sind zwar nicht buchungsentscheidend, unterstützen aber ein positives Reiseerlebnis. Einen guten Einfluss auf den Markenkern haben Events wie diese allemal.
Katalog-Kommunikation
Da der Bärenanteil an Kreuzfahrten noch immer auf klassischem Wege über Reisebüros verkauft wird, ist der Katalog nach wie vor der Hauptkommunikationskanal. Ungeachtet dessen gewinnt das Internet an Bedeutung und damit die Social Media. Die lassen sich auch für Krisen-PR nutzen. Anlässlich der „Monsterwellen“, die Anfang März zwei Menschen auf einer Mittelmeerkreuzfahrt das Leben kosteten, beruhigt Kapitän Hanjo Müller auf seinem Blog in der AIDA-weblounge seine Leser. „Bevor wir mit unseren AIDA-Schiffen in Schlechtwetterlagen kommen, werden sie rechtzeitig umgeroutet oder warten im Hafen, bis sich die Wetterlage stabilisiert hat“, so der Kapitän, „Die dadurch eventuell resultierenden Verzögerungen im Reiseverlauf nehmen wir in Kauf, um die Sicherheit von Ihnen, liebe Gäste, und unserer Crew jederzeit zu gewährleisten.“ Das könnte AIDA-Pressesprecher Hansjörg Kunze nicht besser formulieren.