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03.12.2007   News
„Creative Industries“
 

Mit diesem Kunstbegriff soll Berlins schwächelnder Kommunikationsbranche Leben eingehaucht werden. Ein Konzept, das Fragen aufwirft. Von Sebastian Vesper

12.000 Unternehmen, mehr als 39.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, viereinhalb Milliarden Euro Umsatz – mit diesen imposanten Eckdaten wartet Wolfgang Hünnekens auf, wenn er über die so genannte Kreativwirtschaft Berlins sinniert. Der Chef der Werbeagentur Publicis tut das häufig und gern, denn er sitzt dem Ausschuss „Medien und Kommunikation“ der örtlichen Industrie- und Handelskammer vor und gilt auch ansonsten als selbst- und sendungsbewusster Kommunikationsmacher. Fast 350.000 Menschen beschäftigten sich in der Hauptstadt beruflich im weitesten Sinne mit Kommunikation, so die Angaben aus dem Arbeitskreis. Damit sind freilich nicht nur PR- oder Werbeberater, Marketingspezialisten und Lobbyarbeiter gemeint, sondern zum Beispiel auch Studierende, Lehrende, Freiberufler, Kunst- und Kulturschaffende.

All diesen „Kreativen“ wollen Hünnekens und seine Mitstreiter zu Aufmerksamkeit verhelfen – und damit nicht zuletzt zu Geld (PR Report 09/2006). Denn auch 18 Jahre nach dem Mauerfall will sich ein Boom im Berliner Kommunikationsgewerbe partout nicht einstellen.

Den meisten Unternehmern in diesem Bereich fehle der Zugang zu Kapital, beklagt Hünnekens. Es mangle an Wissen über Möglichkeiten der Förderung und Finanzierung. Gleichzeitig, so ein weiterer Hauptgrund aus seiner Sicht, wüssten Banken und andere Kapitalgeber wenig über die Leistungen der Kreativwirtschaft. „Banken vergleichen die wenigen wirtschaftlichen Kennziffern, die Kreative ihnen heute geben können, mit den Daten der klassischen Industrie“, so der Agenturchef. „Logisch, dass wir da durchs etablierte Raster fallen. Dabei ist dieser Wirtschaftszweig – für Berlin – bereits heute der größte und birgt obendrein die größten Wachstumspotenziale.“

Genau da liegt das Problem: Eine „Kreativindustrie“ im Sinne eines para-industriellen Wirtschaftszweiges existiert nicht, schon gar nicht in Berlin. Das liegt nicht nur daran, dass in der Bundesrepublik noch immer die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Kategorien aus Zeiten von Montan- und Schwerindustrie dominieren – was jeder Medienschaffende weiß, der schon einmal ein Formular bei der Arbeitsagentur auszufüllen hatte. Nein, es ist auch die kleinteilige Struktur dieser unterschiedlichen Kreativberufsgruppen selbst, die verhindert, dass eine kritische Masse im „industriellen“ Sinne entsteht.

Dieses Phänomen ist in Berlin besonders deutlich zu beobachten. Was Hünnekens vollmundig mit dem Kunstbegriff „Creative Industries“ apostrophiert, besteht hier in erster Linie aus arbeitslosen Freiberuflern auf der Suche nach den nächsten „Projekten“ in losen, unverbindlichen und immer neuen Netzwerken. Längst macht der böse Begriff vom „Kreativ-Präkariat“ die Runde. Er beschreibt das Klischee leger gekleideter Mittdreißiger am Rande zu Hartz IV, deren Geschäftsausstattung aus einem Laptop, einem Latte Macchiato und dem kostenlosen WLAN-Anschluss ihres Lieblings­cafés in Prenzlauer Berg besteht.  Gerade in Berlin ist dieser Typus, trotz der viel beschworenen „anspringenden Konjunktur“, nach wie vor stark präsent. Hoch kreativ, aber – wirtschaftlich gesehen – eben rein virtuell.

Skeptiker wenden denn auch ein: Gewiss lebten in Berlin viele Kommunikationsmenschen mit Potenzial, vielleicht sogar mehr als anderswo. Aber das habe wenig mit der Stadt und ihrem stilisierten Nimbus eines Medien-Mekkas zu tun. „Die meisten haben sich in den schlechten Zeiten einfach gesagt: Lieber arbeitslos in Berlin, wo die Lebenskosten niedrig sind, als arbeitslos in München“, frotzelt der Chef einer Berliner PR-Agentur.

WLAN statt Porsche
Dem lässt sich entgegen halten: Gerade die WLAN-Freiberufler sind flexibel, autonom, besser gebildet und stärker vernetzt als durchschnittliche Erwerbstätige. Müssen sie auch sein, zumal in Berlin. Wer hingegen Jahre in den sicheren Mauern prosperierender Kreativunternehmen in München oder Hamburg zugebracht hat, weiß eher, was der Quadratmeter Grundeigentum kostet und wo er shoppen geht. Motto: Ein fremdes WLAN macht kreativer als ein eigener Porsche.

Überhaupt, Hamburg! Mit einer Mischung aus Neid und Verachtung schauen viele von Berlin auf den kleinen Bruder im Westen, der immer größer wird und, anders als die kämpfende Hauptstadt, wirtschaftliches Hinterland zu bieten hat. Hünnekens vergleicht die Stadt an der Spree in Sachen „Creative Industries“ aber lieber mit London oder Wien. Die Briten haben mit „Creative London“ eine Behörde aufgebaut, die direkt dem Bürgermeister zugeordnet ist. Sie beseitigt Engpässe, fördert einschlägige Firmen und hilft bei der Planung. In Wien ist derlei Wirtschaftsförderung in Form eines Unternehmens namens „departure“ organisiert. Aber anders als andere europäische Metropolen liegt Berlin, obwohl Hauptstadt, wirtschaftlich gesehen am Rande seines Landes und bildet nicht dessen ökonomisches Zentrum.

Von einer „Industrie“ erwartet man eine gewisse Größe der Einheiten, etablierte Standards und vergleichbare Prozesse bei der Wertschöpfung. Es entbehrt also keineswegs visionären Mutes, wenn Hünnekens der Latte-Macchiato-Szene sein Konzept von den „Creative Industries“ entgegensetzt. Die Zersplitterung der Kommunikationsbranche werde bald der Vergangenheit angehören, glaubt er. „Wir müssen einen Anspruch definieren. Das ist doch die Zukunft: Entweder werden die Einheiten selber groß, oder sie werden von Größeren übernommen.“ Damit will Hünnekens freilich nicht einem Niedergang der Vielfalt das Wort reden. „Nehmen Sie das Beispiel der Musikproduktion. Die lebt von ihrer kleinteiligen Vielfalt. Aber es ist auch so, dass die Großen den Rest des Marktes mitziehen. Ich finde, da kann man schon von einer ‚Industrie’ sprechen.“

Die Frage ist nur, ob der Begriff „Creative Industries“ zu weit gefasst ist. Ob es nicht gerade im lokalpolitisch als provinziell geltenden Berlin zu viel verlangt ist, eine einende wirtschaftspolitische Stimme sein zu wollen für vage definierte, kaum zu überblickende Milieus von Modedesignern, Eventmanagern, Werbern, Musikproduzenten, PR-Leuten und was auch immer noch als „kreativ“ erscheinen mag. Hünnekens verneint diese These. „Gemeinsamkeiten sehe ich beispielsweise in der Ausbildung. Für alle diese Bereiche braucht es einen Kaufmann, der auf die Bedürfnisse der kreativen Segmente geschult ist. Darin liegt ein Schlüssel.“

Ganz einfach: Bilder und Töne
Dass Kommunikationsbereiche und Mediengattungen miteinander verschmelzen („Medienkonvergenz“) und davon Marktverhältnisse und Wertschöpfungsprozesse nachhaltig beeinflusst sein werden, ist ja sowieso eine populäre These. Hünnekens sieht das auch so, macht dabei allerdings nicht den Fehler anderer Propheten, die Perspektiven der Kommunikationsbranche allein über den Internet-Kamm zu scheren. „Vergessen Sie Web 2.0 oder wie auch immer der nächste Trendbegriff lauten wird“, schmunzelt der 49-Jährige. „Heute und in Zukunft sind es drei Dinge, die den Medienmarkt und die entsprechenden Berufe in den Creative Industries konstituieren: stehende Bilder, bewegte Bilder und akustische Formen.“
 

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