Die katholische Kirche will mehr zuhören. Deswegen hat sie nun einen „strukturierten Dialog“ mit ihren Mitgliedern angekündigt. Von Geraldine Friedrich
Es soll das Jahr der Priester werden – und wird das Jahr der Krise: Im Januar wird bekannt, dass die Katholische Kirche auch in Deutschland Missbrauchsfälle zu verantworten hat. Den Stein ins Rollen bringen die Fälle am Berliner Canisius-Kolleg. Danach melden sich bundesweit immer mehr Opfer. „Spiegel Online“ dokumentiert 250 Fälle in einem Artikel mit der Überschrift „Liste des Schreckens“.
„Stern“, „Kölner Stadtanzeiger“, aber auch die katholische Kirche beauftragen Meinungsforschungsinstitute mit Umfragen. Die Ergebnisse lauten alle ähnlich: Nicht nur bei Nichtgläubigen, sondern auch bei Katholiken verliert die katholische Kirche ihre wichtigste Währung: Das Vertrauen ihrer Mitglieder. In der repräsentativen Umfrage „Monitor Religiöse Kommunikation 2010“ im Auftrag der Medien-Dienstleistung GmbH (MDG), einer kirchen-finanzierten Unternehmensberatung, bezeichnen sich nur noch 17 Prozent der Katholiken als „gläubige Kirchennahe“. Mehr als ein Drittel der Befragten (37 Prozent) nennt sich „kritisch kirchenverbunden“ und ein weiteres knappes Drittel (32 Prozent) „kirchlich distanziert“. Das Ergebnis ist auch deswegen interessant, weil das durchführende Meinungsforschungsinstitut, das Institut für Demoskopie Allensbach, die 2.074 „ausgewählten Katholiken“ im Oktober und November 2009 befragte, also bevor die Missbrauchsvorwürfe bekannt wurden.
Kirche streitet öffentlichInsbesondere die öffentliche Auseinandersetzung um den ehemaligen Augsburger Bischof Walter Mixa schadet dem Ansehen der katholischen Kirche. Im April werden Vorwürfe laut, Mixa habe „Watschn“ an bayrische Heimkinder verteilt, im Mai wird Mixa beschuldigt, er habe auch Minderjährige sexuell missbraucht. Letzteres stellt sich als haltlos heraus, doch bereits im April musste Mixa auf Druck deutscher Bischöfe sein Rücktrittsgesuch einreichen. Drei Tage später widerruft er dieses. Der Papst nimmt das Gesuch des „Prügel-Bischofs“ (O-Ton „Bild“) trotzdem an. Im Juni berichten Medien wie „Bild am Sonntag“ und „Welt Online“, Mixa sei Opfer einer Intrige geworden, der ehemalige Bischof äußert sich selbst dazu in Interviews und nennt auch Namen von ehemaligen Mitarbeitern, die angeblich mit der Presse über die Missbrauchsvorwürfe gesprochen haben, ohne ihn vorab zu informieren.
„Es ist ja nicht so, dass die katholische Kirche auf einem glorreichen Weg mit großer Zukunft und Akzeptanz gewesen wäre. Auch ohne Missbrauchsskandal hatten wir schon Probleme in der äußeren Wahrnehmung“, räumt Robert Eberle, Leiter Kommunikation des Erzbistums Freiburg, ein. Derzeit befinde sich die Kirche noch in der „Mea-Culpa-Phase“, also in der Phase, in der Kirchenverantwortliche öffentlich Reue zeigen und um Vergebung bitten. „Für uns PR-Leute der katholischen Kirche stellt sich nun die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um aus der reaktiven Phase in einen offensiven Dialog einzutreten?“, erklärt Eberle. Das interne Medienmonitoring zeige, dass die kritische Berichterstattung momentan zurückgehe. Der 49-Jährige spricht von einem „Plateau“, das nun erreicht würde.
Aus diesem Grund gibt es nun erste Vorstöße, die Kommunikation selbst gestalten zu wollen. Erst Anfang Oktober kündigte Robert Zollitsch, Erzbischof in Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, einen „strukturierten Dialog“ an, der bis zum nächsten Katholikentag im Mai 2012 dauern soll. Dabei soll sich jeder Interessierte, zum Beispiel per Umfrage auf der Homepage des Erzbistums Freiburg, mit Themen einbringen können, die er für diskussionswürdig hält. In einem Interview mit der hauseigenen Bistumszeitung „Konradsblatt“ begründet der 72-Jährige diesen Schritt damit, man müsse „mehr Schnittstellen zur Lebenswelt der Menschen“ finden, beispielsweise beim Umgang mit konfessionsverschiedenen Ehen. Auch müsse die Kirche nun selbstkritisch auf Schwächen und Fehler schauen. Ist diese Ankündigung nun etwas Besonderes? Eberle: „Viele können das mit Gott und dem Himmel nicht so nachvollziehen und glauben, dass die Kirche als irdische Institution so funktionieren muss wie der ADAC.“ Was aber bei Nichtkatholiken vielleicht nur „ein Achselzucken“ auslöse, sei für die Kirche „etwas knifflig“. „Kirche ist es ja gewohnt top down zu kommunizieren, nun muss sie in der digitalen Welt erst einmal lernen, wie man damit umgeht, wenn der Dialog auch von unten nach oben läuft.“
Zu heiklen Themen Stellung beziehenDass diese Vorgehensweise gerade für Anhänger der römisch-katholischen Kirche nicht selbstverständlich ist, belegen Reaktionen auf den Vorschlag zur Umfrage auf www.kath.net, einem ultrarechten katholischen Onlinemedium. Dort äußert sich ein Teilnehmer über die Umfrage so: „Der Geist McKinseys ist der total falsche Geist und diese Befragung völliger Unfug! Ihr Funktionäre und Manager, die Ihr Bischöfe der Hl. Kische (sic) seid, glaubt endlich ohne Wenn und Aber und verkündet und lebt das Evangelium!! Dann kommt Ihr fort von diesem Irrweg!“. Rund drei Viertel der bislang 1.000 Teilnehmer bewerten den Dialog aber von „längst überfällig“ bis zu „gut, wenn er konkrete Konsequenzen hat“. Fast jeder zweite Umfrageteilnehmer gibt auch inhaltliche Anregungen. Geschiedene Wiederverheiratete, Homosexuelle und Empfängnisverhütung – die Kirche müsse sich laut Eberle überlegen, wie sie künftig alle Katholiken adressiert. Dies seien für die Kirche „unangenehme Fragen in einer neuen Qualität“. Klar sei aber auch, dass Kirche sich nicht nur an Meinungen orientieren könne, insbesondere an bestimmten katholischen Werten wie der Unauflöslichkeit der Ehe sei „nicht zu rütteln“.
Der angekündigte Dialog und der damit verbundene notwendige Personalausbau eröffnet ein weiteres Konfliktfeld. Die Öffentlichkeit fordert mehr Transparenz – erst kürzlich bekam die katholische Kirche von der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche die „Verschlossene Auster“ verliehen. Außerdem kritisieren christliche Medien, dass die katholische Kirche ihren eigenen Blättern den Geldhahn zudreht. Die christliche Monatszeitschrift „Herder-Korrespondenz“ stellt in einem Leitartikel die Frage, was es für das „Profil katholischer Publizistik“ denn bedeute, wenn der „Rheinische Merkur“ und Bistumszeitungen aufgegeben würden, gleichzeitig aber mehrere Bistümer ihre Öffentlichkeitsarbeit ausbauten. So hat etwa das Erzbistum Freiburg für die Öffentlichkeitsarbeit vier zusätzliche Stellen geschaffen, die Pressestelle wurde zu einer „Stabsstelle Kommunikation“ aufgewertet. Eberle: „Wir bekommen einerseits den Vorwurf, dass wir nicht professionell genug kommunizieren, andererseits haben wir eher binnenkirchlich orientierte Medien, deren Zukunftsperspektiven – auch mit Blick auf ihre wirtschaftliche Situation – ungewiss sind.“ Ziel müsse es deshalb sein, die Medienaktivitäten der Kirche stärker zu vernetzen und die Ressourcen für die Kommunikation „effizienter“ einzusetzen.
Trotz der komplexen Strukturen komme man diesem Ziel näher, meint der überzeugte Katholik, wenn auch nicht immer in der Geschwindigkeit, die sich außenstehende PR-Fachleute wünschen. Eberle: „In der Kommunikation geht es um Strategie und Schnelligkeit – die Bibel rät zu Demut und Geduld.“