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News / Bauchgefühl
26.08.2010   News
Bauchgefühl
 

Die PR-Branche verändert sich – und mit ihr die Modelle, die sie prägen. Nur wenige Kommunikationsprofis planen die strategische Aufstellung ihrer Agentur nach dem Lehrbuch. Trotzdem treffen sie mit ihren Entscheidungen oftmals ins Schwarze. Ein Bericht zwischen Theorie und Praxis. Von Birte Bühnen

Ernst Primosch und Amir Kassaei haben eines gemeinsam: Sie wollen eine Revolution. Primosch, seit kurzem CEO von Hill & Knowlton Deutschland, verspricht bei der Präsentation des neuen Beratungsangebots iComms „integrierte Kommunikation wirklich möglich zu machen“. Kassaei, Kreativchef der Werbeagentur DDB Germany und umstrittener Provokateur, will seine Zunft zu lösungsorientierten, kreativen Beratern umerziehen. Angesichts der schwächelnden Gesamtwirtschaftslage und sinkender Honorarumsätze suchen deutsche Agenturbosse zurzeit nach neuen Wegen, um sich als attraktive Partner am Markt zu profilieren. Ein Erfolgsrezept gibt es dafür jedoch nicht. Vielmehr köchelt jeder PR-Anbieter seine eigene strategische Kraftbrühe. Das frischeste Sahnehäubchen dürfte Ketchum Pleon auf die PR-Bouillon gekleckst haben.
Branchenkennern zufolge ist die Fusion der Agentur Pleon und des amerikanischen Netzwerks Ketchum bitter nötig gewesen. Öffentlich wollen sich zu diesem Coup aber nur wenige äußern. Irgendwie löffelt man halt doch die gleiche Suppe.
Aber auch branchenfremde, unabhängige Unternehmensberatungen wie PriceWaterhouseCoopers oder KPMG können zu Positionierungen und Strategien von Agenturen aus der PR-Wirtschaft wenig sagen, geschweige denn, sie bewerten. Der Grund: Beratungsunternehmen, zu denen die meisten PR-Agenturen zählen, lassen sich selbst ungern beraten. Dabei könnten Agenturlenker dadurch einiges lernen, ist Ansgar Zerfaß sicher. Der Professor für Kommunikationsmanagement in Politik und Wirtschaft hat an der Universität Leipzig gemeinsam mit der Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Marina Deck erstmals eine so genannte Branchenstrukturanalyse für PR-Agenturen durchgeführt. Diese Methode wurde Ende der 1970er-Jahre von Michael E. Porter, einem Harvard-Professor, entwickelt. Seitdem erarbeiten Unternehmen mit ihrer Hilfe passgenaue Wettbewerbsstrategien.
Kunden fordern weltweites Profil
In einem ersten Schritt wird die jeweilige Branche als Ganzes betrachtet: Welche Wettbewerber gibt es? Welche neuen Anbieter bedrohen das eigene Kerngeschäft? Für die PR-Branche haben Zerfaß und Deck vor allem Corporate-Publishing-Verlage, Mediaagenturen und Rechtsanwaltskanzleien als potenzielle Konkurrenten identifiziert. Zudem nimmt die Branchenstrukturanalyse das Verhältnis zu Auftraggebern und Dienstleistern in den Blick. PR-Agenturen geraten hier hauptsächlich durch die gestiegenen Controlling-Ansprüche ihrer Kunden, die Internationalisierung des Wettbewerbs und die zunehmende Digitalisierung der geforderten Leistungen unter Druck.
„Unsere Internationalisierung voranzutreiben war eine strategische Entscheidung“, sagt hingegen Dirk Popp, Chef von Ketchum Pleon Germany. „Wir sehen hier Wachstums- und Entwicklungschancen. Unsere Kunden wollen den weltweiten Footprint.“ Das gelte sowohl für deutsche Firmen, die ins Ausland expandierten, als auch für solche, die in Europa Fuß fassen wollten.
Diese Erfahrung hat auch Oliver Sturz, Geschäftsführer von Harvard PR, gemacht. Seit April nutzt die Münchner Agentur mit dem Label Bell Pottinger – Harvard den Namen ihrer britischen Partneragentur als Zugpferd für die Akquise internationaler Kunden. Bell Pottinger ist Englands führende PR-Agenturgruppe.
Laut einer Studie der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft vom Februar sind bislang nur wenige Kommunikationsagenturen in Deutschland für diesen Trend gerüstet: 89 Prozent ihres Umsatzes machen PR-Agenturen auf dem hiesigen Markt. Dabei stützen sie sich meist auf ein zentrales Geschäftsfeld, das 80 Prozent ihres Gesamtumsatzes ausmacht.
Beschränkter Wettbewerb
In einem zweiten Schritt unterteilt die Branchenstrukturanalyse die betrachtete Branche in strategische Gruppen. Nach Deck und Zerfaß besteht das Grundgerüst jeder PR-Strategie aus einer drei-dimensionalen Matrix. Dieser Würfel setzt sich zusammen aus der Spezialisierung auf einzelne Branchen wie IT, Konsumgüter, Automobilindustrie, Tourismus oder Gesundheitswirtschaft, aus der Servicebreite, also dem Einsatz einzelner Disziplinen, etwa Media Relations, Unternehmenskommunikation, Public Affairs oder Online-PR, und aus einem geografischen Fokus, sprich der internationalen, regionalen und lokalen Ausrichtung einer Agentur. „Der Vorteil einer solchen Gruppierung liegt darin, dass sich die Wettbewerbssituation anhand weniger Kriterien klar erfassen lässt“, sagt Zerfaß.
Die PR-Agenturbranche insgesamt ist demnach relativ wettbewerbsarm. Der eigentliche Konkurrenzdruck entsteht vielmehr in wenigen strategischen Gruppen. Besonders umkämpft sei der Markt der nationalen, klassischen Dienstleister, die sich durch eine geringe Servicebreite aber eine hohe operative Kompetenz auszeichneten, so Zerfaß. Anders sehe es bei den nationalen Branchenspezialisten aus. Komplexe Themen, wie sie unter anderem in der IT oder im Gesundheitssektor vorherrschen, machen es Quereinsteigern schwer, hier eine dominierende Position einzunehmen.
Strategie aus dem Bauch heraus
„Nur wenige CEOs gehen so strategisch an die Ausrichtung ihrer Agentur heran“, sagt Zerfaß. Aber gefühlsmäßig handelten einige von ihnen absolut modellhaft. Das belegen unveröffentlichte Interviews, die der Wissenschaftler und Deck parallel zur Branchenanalyse geführt haben. Oliver Klein beobachtet, dass Agenturchefs verstärkt darüber nachdenken, wie sich der Markt und der Leistungsbedarf entwickeln, welche Kernkompetenzen künftig benötigt werden und mit welchem Profil sich Agenturen am besten präsentieren sollten. Klein ist Gründer und Geschäftsführer von Cherrypicker, einem Dienstleister aus Hamburg, der Unternehmen bei der Agenturauswahl berät. Um vermittelt zu werden, müssen die Agenturen präzise aufzeigen, mit welchem Leistungsportfolio sie sich von ihren Wettbewerbern unterscheiden. „Inzwischen fressen nicht mehr die großen die kleinen Agenturen, sondern die schnellen die langsamen“, stellt Klein fest. „Der Markt ändert sich momentan in Vierteljahresschritten. Wer sein Geschäftsmodell ständig kritisch hinterfragt, hat hier die besten Chancen“, schätzt der Branchenexperte.
Volker Martens hat diesen Reflexionsprozess bereits vor zehn Jahren begonnen. Als Anfang der 2000er-Jahre die Internetblase platzte, blieb auch seine auf IT-Beratung spezialisierte Agentur, Faktor 3, von den wirtschaftlichen Folgen nicht verschont. Seitdem verfolgen er und seine beiden Vorstandskollegen ein integriertes Agenturmodell, das sich seit drei, vier Jahren zudem konsequent an einem adaptiven Kommunikationskonzept orientiert. „Mit unserem Modell können wir schnell und flexibel auf neue Marktanforderungen reagieren“, sagt Martens. Den strategischen Rahmen dieser lernfähigen Organisation bilden kreative Ideen im Gegensatz zu austauschbaren Handwerksleistungen, intensive Kenntnisse von zurzeit 14 unterschiedlichen Branchen sowie eine am Dialog orientierte Grundhaltung, die sich momentan vor allem in einer ausgeprägten Nutzung von Social Media ausdrückt.
Gesucht: Erfahrene Berater
Einen anderen Ansatz verfolgt die Scholz & Friends Group. Seit 2001 konzentriert sich die unabhängige Agenturgruppe auf ein „orchestriertes“ Leistungsangebot, das sämtliche PR-Disziplinen bespielt. Lutz Meyer, Mitglied des Partnerboards, identifiziert drei Entwicklungen, bei denen sich diese Aufstellung derzeit bewährt: „Kommunikations- und Marketingaufgaben werden spezieller, die Vorlaufzeiten kürzer und die Vernetzung der unterschiedlichen Kommunikationskanäle wird immer komplexer.“ Größere, breit aufgestellte Agenturen könnten diese Anforderungen durch ihre unterschiedlichen Geschäftsfelder besser umsetzen als kleine, spezialisierte Anbieter.
Zudem könnten international und interdisziplinär agierende Agenturen Senior Beratern attraktivere Arbeitsbedingungen bieten. Und gerade die werden angesichts des gestiegenen Beratungsanspruchs vieler Kunden immer wichtiger. Dieser Ansicht ist auch Dirk Popp. Durch den Zusammenschluss zu Ketchum Pleon hat der Managing Partner Zugriff auf weltweites Know-how aus den Practice-Groups und Specialties. Täglich könne er direkt auf 2.000 Berater in der ganzen Welt zugreifen, schwärmt er. Das sei nur innerhalb einer Agentur möglich; Netzwerke seien dafür zu unflexibel, meint Popp.
Trotz Netzwerk frei entscheiden
Das sieht Oliver Sturz von Bell-Pottinger – Harvard anders. „Seitdem wir unseren Namen konsequent an unserem Partnernetzwerk ausrichten, haben uns internationale Kunden mehr auf dem Schirm“, sagt er. Zudem könne er seinen Kunden Lösungen à la carte bieten. Denn anders als bei klassischen PR-Netzwerken kann Sturz trotz seiner Bindung an das rund 50 Agenturen umfassende Bell-Pottinger-Netzwerk unabhängig davon die kompetentesten Expertenteams für seine Kunden zusammenstellen. Gehören zum Beispiel Filmproduktionen zum Auftrag dazu, durchforstet er sein eigenes, nationales Netzwerk. Je nach Kunde besetzt er auf diese Weise bis zu zwei Drittel der Aufträge mit eigenen Partnern. Ein Drittel kommt aus dem Bell-Pottinger-Netz. So könne er die Wünsche seiner Kunden am besten erfüllen. Und das ist nicht nur, wie Popp, Meyer und Martens bestätigen, das Wichtigste, sondern wahrscheinlich auch ein entscheidender Grund dafür, warum die Branchenstrukturanalyse unter PR-Praktikern weitgehend unbekannt ist: Man orientiert sich einfach nicht am Wettbewerb. Na dann, Prost-Mahlzeit!

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