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News / "Wir wissen zu wenig darüber, was Facebook macht und vorhat"
Frank Thomsen auf dem ENC in Wien (Foto: Medienfachverlag Oberauer/APA-Fotoservice/Schedl)
24.05.2017   News
"Wir wissen zu wenig darüber, was Facebook macht und vorhat"
 
Wäre ein Vertreter von Facebook dabei gewesen - er oder sie hätte es nicht leicht gehabt auf dem European Newspaper Congress beim European Editors Forum in Wien. Unter dem Titel "Fake News, Trump, Facebook und wir Journalisten" diskutierten die Experten Paul-Josef Raue ("kress"-Kolumnist und Moderator), Frank Thomsen (G+J-Kommunikationschef), Christian Lindner (Ex-Chefredakteur der Koblenzer "Rhein-Zeitung") und Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung).
Und die Kritik an Facebook war deutlich: zu intransparent, zu mächtig, zu unkommunikativ. Doch wie so oft bei Diskussionen über das Zusammenspiel von sozialen und klassischen Medien glänzte Facebook selbst - trotz Einladung - durch Abwesenheit. Paul-Josef Raue verlas stattdessen die freundliche Absage, das gesamte Team sei leider "off site".

"Wir wollen nicht über sie sprechen, sondern mit ihnen", kritisierte Frank Thomsen. Gruner+Jahr war von Facebook angefragt worden, sich in der Factchecking-Offensive des sozialen Netzwerks zu engagieren - und hatte dem Ansinnen letztlich eine Absage erteilt. "Wir hatten den Eindruck, dass dazu eine Diskussion mit Facebook nötig wäre - doch das war nicht mit angelegt. Du konntest nur yes oder no sagen", begründet Thomsen die Entscheidung. Zudem sei Recherche eine Dienstleistung und könne niemals kostenlos stattfinden. "Wenn hinter der Anfrage kein Geschäftsmodell steht, heißt die Antwort sowieso schon einmal nein", so Thomsen.

Für Thomas Krüger von der Bundeszentrale für Politische Bildung ist Fact Checking nicht nur Aufgabe der Medien. In den sozialen Medien, so Krüger, werde jeder einzelne Nutzer Mitproduzent von Information und müsse sich selbst bemühen, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Laut Krüger sei eine Diskussion Medienkompetenz unbedingt nötig. Medienkritik müsse viel stärker im schulischen Alltag verankert, kritisches Bewusstsein in der Gesellschaft gestärkt werden: "Dazu brauchen wir einen starken, selbstkritischen Journalismus."

Der Meinung schloss sich auch Christian Lindner an. "Am Anfang wurde Facebook unterschätzt. Mittlerweile glauben viele Medien, Facebook nichts entgegensetzen zu können", ist Lindners Beobachtung. Was in der Zeitung gut laufe - Neutralität, Nüchternheit, Faktentreue -, sei in den sozialen Medien eben kein Erfolgsgarant. Gerade darum hält der Social-Media-affine Journalist, der vor kurzem seinen Posten als Chefredakteur der "Rhein-Zeitung" räumen musste (kress.de berichtete), eine Zusammenarbeit beim Factchecking für lohnenswert. "Postings Verified by "Stern" oder "Mainpost" - das würde zu einer hohen Glaubwürdigkeit führen", so Lindner. Doch das könne es natürlich nicht umsonst geben. Den Redaktionen empfiehlt Lindner bedachtsames Vorgehen: "Man muss nicht in jedem Fall alles mitmachen." Es sei besser, kritisch Fakten zu checken als ständig neue Snapchat-Projekte zu starten: "Innerhalb der Redaktion muss es Luft geben zum Nachdenken, Nachprüfen, Streiten."

Facebook zu ignorieren oder gar zu ächten - das hielt die Runde allerdings für falsch. "Es ist nicht die Aufgabe des Journalisten, sich abzuwenden", so Frank Thomsen. Von seinen Milliarden Nutzern werde Facebook im Grunde sehr harmlos genutzt. Allerdings finde sich auf derselben Plattform auch "der gesamte Schmutz dieser Welt". Die oft gehörte Forderung, Facebook müsse seinen Algorithmus offenlegen, bezeichnete Thomsen allerdings als "Ultima Ratio." Der Sprecher des Hamburger Großverlages Gruner und Jahr riet zur Differenzierung und verwies etwa auf die wichtige Rolle des sozialen Netzwerks während des Arabischen Frühlings. Kritisch sieht Thomsen das ökonomische Ungleichgewicht; nur langsam würden die Werbekunden die Monopolisierungsgefahr erkennen. "Von jedem Euro, der im Netz investiert wird, gehen 80 Cent an Facebook und Google", so Thomsen. "Wir wissen zu wenig darüber, was Facebook macht und vorhat."

Selbstkritische Töne schlug der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung an. "Wir sind in der öffentlichen Debatte nicht mutig genug, Streit als etwas Positives wahrzunehmen", sagte Thomas Krüger. Stattdessen herrsche eine Art Empörungsdemokratie, in der nur noch der Skandal zähle. Zudem würden Medien oft nur noch die Elite der Gesellschaft ansprechen. "Ich plädiere eher dafür, verschiedene Vertriebskanäle zu nutzen und auch die Abgehängten der Gesellschaft als Zielgruppen im Blick zu behalten." Mit Facebook steckt die Bundeszentrale gerade selbst in offenbar schwierigen Verhandlungen. Es geht um den Wahlomat - eine beliebte Online-Wahlentscheidungshilfe. Facebook würde das Tool gerne im Vorfeld der Bundestagswahl einsetzen, zugleich aber auch die Daten der Nutzer abgreifen, so Krüger. "Das gehört nicht zu unserer Policy."

Hintergrund: Der European Newspaper Congress wird vom Medienfachverlag Johann Oberauer und Norbert Küpper, Zeitungsdesigner in Deutschland, veranstaltet. Kooperationspartner wie JTI, die Stadt Wien und der Verband der Österreichischen Zeitungen unterstützen maßgeblich die Veranstaltung.

Von Anna von Garmissen

 

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