Lassen sich Qualitätsjournalismus und damit die publizistischen Kernaufgaben der Medienhäuser in einer Zeit, die von der Marktmacht der US-Medien-Technologieriesen, aber auch von inneren Sinnkrisen geprägt ist, zukunftssicher absichern? Johann Oberauer, Herausgeber und Verleger von kress, regte auf dem European Newspaper Congress eine Debatte über die öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Presse an.
Wir dokumentieren im Folgenden die Eröffnungsrede auf dem diesjährigen 18.
European Newspaper Congress, der im Wiener Rathaus in Anwesenheit des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern eröffnet wurde, im Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Stadtrat, sehr geehrte Damen und Herren,
Markus Wiegand, Chefredakteur von kress pro, ist eben von Schibstedt in Oslo zurückgekommen. Als Markus mich gestern anrief, schien er ernüchtert und betroffen zugleich zu sein. "Die machen tatsächlich ihr Geld weitgehend digital", sagte Markus über Schibstedt. Diese Botschaft beeindruckte mich. Endlich hat ein Medienhaus geschafft, was so viele andere anstreben - nämlich eine neue Form der Finanzierung von Journalismus. Doch Markus holte mich schnell auf den Boden der Realität zurück. "Was Schibstedt heute macht, hat nichts, rein gar nichts mehr mit Journalismus zu tun". Nur noch in zwei Ländern verantwortet das Vorzeigeunternehmen tatsächlich Zeitungen, dagegen ist es in 30 Ländern nur mehr mit Anzeigenplattformen im Internet engagiert.
Zufällig hatte ich zugleich die jüngste Ausgabe vom "Schweizer Journalist" in der Hand und da titelte Chefredakteur Kurt Zimmermann: "Und was, wenn die NZZ doch recht hat? Die "Neue Zürcher Zeitung" hat eine derart exotische Strategie, dass sie mit keinem anderen Medienhaus vergleichbar ist. Sie will ihr Geschäft der Zukunft mit Publizistik machen. Es ist entweder Weitsicht oder Harakiri", schrieb Kurt.
Die NZZ macht also das exakte Gegenteil vom dem, was Schibstedt macht. Die NZZ macht das, was erst ein Medienhaus ausmacht - und immer ausgemacht hat: Sie kümmert sich um Inhalte. Mehr noch, oder das eigentlich wirklich Bedeutende: Sie leistet erst damit einen Beitrag für unsere Gesellschaft. Wie bedeutsam diese Arbeit ist, wird uns seit einigen Monaten erschreckend bewusst - und täglich neu vorgeführt.
Warum verabschieden sich eigentlich zunehmend Medienhäuser aus ihrer Kernaufgabe, habe ich mich in dem Moment gefragt und ich wusste, dass es eine ziemlich naive Frage ist. Unsere Wirklichkeit im Jahr 2017 ist reichlich ernüchternd: 20 Jahre nach unseren ersten Feldversuchen mit Journalismus im Internet wissen wir: Bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen funktioniert Journalismus im Internet nicht - jedenfalls nicht so, dass wir davon Medienbetriebe finanzieren können.
Seit Journalismus und Rubrikenanzeigen entkoppelt sind, ist auch die Zukunft der beiden entkoppelt. Rubrikenmärkte im Internet sind hoch erfolgreich - das ist die gute Nachricht. Jobbörsen zum Beispiel. Oder Immobilienbörsen. Oder Autobörsen. Schlecht nur, dass es dafür keine Verleger mit publizistischem Anspruch mehr braucht. Und nebenbei: Die ehemals wirtschaftliche Vielfalt, die uns letztlich auch die publizistische Vielfalt finanzierte, ist im Internet nicht mehr durchsetzbar. Da reicht ein nationaler Stellenmarkt oder eine nationale Immobilienbörse oder ein nationaler Automarkt.
Wie wird also unsere Zukunft aussehen, wenn wir trotzdem auf Journalismus setzen - und damit zugleich ausdrücken, weiterhin Mitverantwortung für diese Gesellschaft zu tragen? Ich habe keinen Zweifel daran, dass einzelne Medienhäuser ihren Weg finden werden - wie eben die NZZ. Übrigens auch nicht alleine durch Publizistik, auch die NZZ baut sich Nebengeschäfte auf.
Doch was ist mit der publizistischen Vielfalt, die wir schätzen und die unsere Gesellschaft zwingend braucht? Eine Zeit lang werden wir noch in ihrer Aufgabe getriebene Verleger erleben, auch der eine oder andere Gönner wird dazukommen, natürlich Stiftungen - aber durch Anzeigen querfinanzierter oder gar selbstfinanzierter Journalismus wird künftig die Ausnahme werden, digital sowieso, wie jetzt das Schweizer Projekt Republik von Constantin Seibt, das wir Ihnen heute Nachmittag kurzfristig aufs Programm gesetzt haben.
Auch wenn uns die Vorstellung ein Gräuel ist, wir werden die Hilfe der Politik brauchen. Wie übrigens die Politik unsere Hilfe brauchen wird - selbst wenn sie in Zeiten von Social Media annehmen könnte, endlich von den Fesseln der Medien befreit zu sein. Wir hängen vermutlich gerade durch Social Media mehr aneinander, als wir es ahnen - oder gar wünschen.
Im Fernsehen hat sich ein System durchgesetzt, das wir öffentlich rechtlich nennen - und über das wir bei allen Kleinkriegen, die wir miteinander führen, zugleich froh sein können. Stellen wir einmal klar: Auch wir Zeitungen und Zeitschriften erfüllen öffentlich rechtliche Aufgaben - und ich meine, sogar viel dichter und umfangreicher, als dies unsere Bewegtbild-Brüder leisten. Wenn es uns in Zukunft nicht gelingt, uns über die Leser zu finanzieren, werden wir einen gleichen, vielleicht sogar größeren Topf für das brauchen, was heute die Öffentlich Rechtlichen erhalten. Ja, vielleicht wird in Zukunft jeder Haushalt einen Betrag von 350 Euro bezahlen - als einen Meinungsbildungsabgabe, für die es nebenbei möglicherweise noch eine Zeitung gibt - gedruckt oder digital, gratis oder mit einem Rabatt von vielleicht 50 Prozent.
Wir sind am besten Weg wiederzuentdecken, dass wir öffentliche Meinungsbildung nicht Facebook und Twitter überlassen können - zumindest nicht in der bisherigen, praktisch rechtsfreien Form. Und im gleichen Zug scheint erneut klar zu werden, dass die Gatekeeper-Funktion der Medien eine enorm wichtige Funktion für unsere gesellschaftliche Entwicklung hat - und sich eben nicht überlebt hat. Ebenso wie es heute selbstverständlich ist, dass wir öffentliches Geld für Bildung ausgeben, werden wir vermehrt Geld für Meinungsbildung brauchen. Und ich rede hier nicht von Manipulation, auch nicht von Kommunikation, sondern von der Finanzierung von Informationskanälen, die den notwendigen Austausch von vielfältigsten Meinungen und Standpunkt zulassen - und damit letztlich dazu beitragen, einen intellektuellen und kommunikativen Rahmen für unsere Gesellschaft zu schaffen.
Service Public nennen das die Schweizer. Warum sollten wir nicht einen Schlüssel finden, dieses neue Geld gerecht aufzuteilen. Es muss nicht so sein, dass wir am Gängelband der Politik hängen, außer wir lassen es zu. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es ausreichend Politiker gibt, die beim gleichzeitigem Versuch der Einflussnahme, trotzdem von der Sinnhaftigkeit dieses Engagements überzeugt sind. Letztlich geht es dabei nicht darum Verleger durchzufüttern, die ihr bisheriges Geschäftsmodell verloren haben, sondern eine Gesellschaft verantwortungsvoll in einem Umbruchsprozess zu begleiten, der zwingend verantwortungsvollen Journalismus braucht, als Korrektiv, als Mahner oder Motivator. Journalisten und Medien, die kraft ihrer Haltung zuerst der Gesellschaft - und nicht den Gesellschaftern dienen.
Wenn wir nicht wollen, dass sich unsere Gesellschaften in ihren Wertevorstellungen radikal verändern, werden wir Grundlegendes ändern müssen.
1. Wir brauchen eine rechtliche Gleichstellung: Was bei Facebook, Twitter, aber selbst auf einigen Online-Meinungsseiten von Medien möglich ist, zerstört in wenigen Jahren, was Generationen vor uns an Respekt im Umgang miteinander erkämpft haben. Wenn Facebook und Twitter behaupten, sie sein keine Medien, so sind das Nebelkerzen, wie sie größer nicht sein können. Natürlich sind sie Medien und natürlich haben sie sich den gleichen Regeln zu unterwerfen wie sie für klassische Medien nicht ohne Grund bestehen. Nebenbei: Es macht mich zugleich ratlos, wenn engagierte Politiker wie jetzt in Deutschland dafür kritisiert werden, dass sie rechtliche Rahmenbedingungen für die Inhalte bei Facebook und Twitter schaffen. Wieviel Hat Postings, wieviel Verletzung und Zerstörung, wieviel Manipulation und Agitation braucht es denn noch?
2. Wir brauchen weiters eine steuerliche Gleichstellung. Es kann nicht sein, dass internationale Konzerne im großen Stil Medien-Geld erwirtschaften, also den nationalen Medien entziehen, und sich dann quasi ohne Steuerleistung davon machen. Das ist eine Katastrophe für die Medienunternehmen in unseren Ländern, die damit zweifach verlieren. Zum einen ist ihnen das Werbegeld entzogen, zum anderen haben sie durch die Steuerdiskriminierung einen Wettbewerbsnachteil. Wenn Google, Facebook oder Twitter keine Steuern zahlen, ist das zugleich ein großer Schaden für unsere Gesellschaft.
3. Wir brauchen eine finanzielle Gleichstellung. Qualitätsmedien haben eine öffentlich-rechtliche Aufgabe - und diese Finanzierung müssen wir sicherstellen. Nicht heute und nicht für jedes Medium, das diese Aufgabe erfüllt, aber wir müssen uns darauf vorbereiten.
Meine Damen und Herren, wir stehen wieder an einem Wendepunkt. Wollen wir vorrangig Geld verdienen wie Schibstedt? Oder wollen wir dazu beitragen, diese Welt besser zu machen - und wir entscheiden uns für Journalismus wie die NZZ, oder die FAZ oder die Süddeutsche - und wie es noch zahlreiche andere Qualitätsmedien in Europa tun.
Dieser Kongress versucht Ihnen Orientierung zu geben. Einige der besten Medienmacher Europas sind nach Wien gekommen, um ihre Konzepte vorzustellen. Ich habe dieses Jahr erstmals auch bewusst erfolgreiche Zeitschriftenmacher eingeladen. Vielleicht übersehen wir etwas, was wir von ihnen lernen können. Und wir haben erstmals einen Schwerpunkt PR & Medien. Coca Cola, Daimler und die OMV stellen ihre Kommunikationskonzepte vor, zeigen wie sie selbst zu Medienhäusern werden - und warum sie trotzdem unabhängige Journalisten und Medien zwingend brauchen.
Ich danke Ihnen, dass Sie nach Wien gekommen sind. Ebenso beeindruckend wie die Liste der Referenten ist jene der Teilnehmer. Lassen Sie sich inspirieren - und lassen Sie uns anschließend nach Hause gehen und unsere Aufgabe machen - unseren Ländern zu dienen. Unserem Europa zu dienen."
von
Johann OberauerHintergrund: Der European Newspaper Congress wird vom Medienfachverlag Johann Oberauer und Norbert Küpper, Zeitungsdesigner in Deutschland, veranstaltet. Kooperationspartner wie JTI, die Stadt Wien und der Verband der Österreichischen Zeitungen unterstützen maßgeblich die Veranstaltung.