Please wait...
News / "Lernen Sie, wie Medienmacher zu arbeiten"
Michael Jochum, Leiter Interne Kommunikation und Cross Media bei der Daimler AG
17.06.2016   News
"Lernen Sie, wie Medienmacher zu arbeiten"
 
Ist die interne Kommunikation die ungeliebte Stiefschwester der externen Kommunikation? Mit diesem Vorurteil räumt Michael Jochum, Leiter Internal Communications & Crossmedia bei Daimler auf. Warum, erklärte er Studierenden an der Uni Leipzig im Rahmen der Veranstaltung "Wissen schafft Praxis" des Leipziger Public Relations Studenten e.V. (LPRS).

Herr Jochum, Ihr Vortrag hieß "Intern ist externer denn je". Wieso ähnelt interne Kommunikation der externen immer mehr und durch welche Entwicklungen wird dies gefördert?

Eine der wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre liegt für mich darin, dass der Zugang zur Öffentlichkeit nahezu barrierefrei geworden ist. Früher war dieser Zugang das Privileg von Journalisten. Auf Seiten der Unternehmenskommunikation waren Pressesprecher die „Gatekeeper“ zwischen innen und außen. Heute kann jeder Journalist sein. Wer in sozialen Medien populär ist, hat möglicherweise eine höhere Reichweite als manche Zeitung. Wenn man die Innenwelt aber nicht mehr gegen die Außenwelt abschirmen kann, muss man sie umso besser pflegen: im Idealfall so, dass jeder Mitarbeiter ein guter Botschafter seines Unternehmens ist. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter als Quelle auch extern meist glaubwürdiger sind als klassische PR oder gar Werbung.


Welche Maßnahmen haben Sie im Zuge dieser Entwicklung ergriffen, um die interne Kommunikation dahingehend attraktiver zu gestalten und was genau war der Anstoß dazu?

Wir haben im ersten Schritt, vor mittlerweile knapp drei Jahren, auf so genannte Leuchtturmprojekte gesetzt: demonstrativ sichtbare Maßnahmen mit der klaren Botschaft „Bei Daimler tut sich was!“ Das waren zum Beispiel Mitmachaktionen für Mitarbeiter, offene Dialogprojekte mit dem CEO im Intranet, sehr viel user-generated content, also Beiträge, die die Mitarbeiter selbst erstellt haben und über die dann die gesamte Kollegenschaft im Netz abstimmen konnte; sehr viel mehr Videoclips und Bewegtbildbeiträge; flächendeckende Bewertungs- und Kommentarfunktionen und vieles mehr. Wir wussten aus Umfragen und Kollegenfeedbacks, was die Kritikpunkte an der internen Kommunikation alten Stils waren; diverse Examensarbeiten haben das untersucht und bestätigt. Wir wussten, dass wir glaubwürdiger, schneller und dialogischer werden mussten. Warum sollten die Kollegen unser Angebot nutzen, wenn sie extern ein schnelleres und womöglich glaubwürdigeres haben konnten? Wir wollen auch nicht mehr nur im eigenen Saft schmoren: Jubel von Kollegen ist sympathisch, Jubel ‚von oben‘ ist peinlich. Wir haben auch einsehen müssen, dass wir in der Vergangenheit teilweise nicht ausreichend empfängerorientiert waren und nicht genug nach Zielgruppen differenziert hatten. Man muss Menschen abholen, wo sie stehen – und nicht alle stehen am selben Ort. Das muss man in der Kommunikation berücksichtigen, sonst geht man zum falschen Ort und erreicht niemanden.

Wie würden Sie vice versa den Einfluss der externen Kommunikation auf die interne Kommunikation beschreiben?

Dieser Einfluss ist nach wie vor groß: Wirkt sich der Streik der Lokführer auf die Lieferkette aus? Wie ist eine staatliche Kaufprämie für Elektroautos einzuschätzen? Was bedeutet der Marktrückgang in XY für unsere dortige Fahrzeugproduktion? Das sind typische Beispiele für Fragen, zu denen wir reaktiv kommunizieren – in der Regel nach entsprechenden Presseanfragen. Zu einigen dieser Themen müssen wir uns dann auch intern äußern – und zwar auf derselben inhaltlichen Linie wie extern; wir wollen ja einheitliche Botschaften vermitteln. Ein wichtiges Stichwort dabei ist „re-aktiv“. Externe Pressearbeit in Unternehmen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ist oft so mit „Re-agieren“ beschäftigt, dass sie kaum  noch zum „Agieren“ kommt. Hier hat die interne Kommunikation mehr Freiräume: Wir können und müssen uns Themen ausdenken, Formate entwickeln, Geschichten erzählen. Wenn die intern gut ankommen, kann man sie manchmal auch extern spielen. Zugespitzt könnte man sagen: Externe Kommunikatoren arbeiten mit Journalisten; interne und crossmediale Kommunikatoren arbeiten wie Journalisten.

Nachdem wir nun über das Zusammenspiel von interner und externe Kommunikation gesprochen haben, stellt sich weiterführend die Frage, inwiefern sich dies auch in einer geänderten Organisationsstruktur widerspiegelt. Werden interne und externe Kommunikation, Marketing und PR nach wie vor funktional getrennt bleiben oder welche Entwicklung erwarten Sie hier?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass Intern und Extern auch organisatorisch in den kommenden Jahren stärker zusammenwachsen. Die traditionelle Diskussion über das Verhältnis von PR und Marketing dürfte neu belebt werden. 
Bei Daimler sind wir heute schon stark nach Themen aufgestellt. Das bedeutet praktisch, dass es Themenverantwortliche gibt, die „ihr“ Thema crossmedial vertreten, also über die gesamte Bandbreite der zur Verfügung stehenden Kanäle und Formate hinweg: intern wie extern, Text und Video, analog und digital. Natürlich muss es nach wie vor auch formatspezifische Experten geben. Nicht jeder Themen-Champion ist auch ein exzellenter Redenschreiber oder Filmemacher. Aber strukturprägend werden eher die durchgängigen Themenverantwortungen sein. Das ist der Trend – Ende nicht absehbar.

Sie haben in Ihrem Vortrag gesagt, dass eine One-Voice-Policy – gerade auch in Anbetracht von Social Media – überholt und unrealistisch sei, man heutzutage froh sein könne, wenn alle Mitarbeiter mit verschiedenen Stimmen das gleiche Lied sängen. Inwiefern setzen Sie den polyphonen Gedanken bei der Daimler AG um, also die Kombination von Diversität und Einheit, die alle Mitarbeiter zu Botschaftern des Unternehmens macht?

Manchmal muss man bewusst plakativ sein, um eine bestimmte Tendenz zu beschreiben. Und wenn ich sage, dass „one voice“ zunehmend schwierig ist und man schon zufrieden sein kann, wenn man „many voices, one song“ schafft, dann ist das sicherlich bewusst plakativ. Aber im Kern ist es so – und zwar aus dem Grund, den wir zu Beginn dieses Gesprächs schon gestreift haben: Es ist im Zeitalter des mobilen und zunehmend allgegenwärtigen Internets nicht mehr realistisch zu glauben, dass aus einem globalen Unternehmen mit 285.000 Mitarbeitern nichts anderes nach außen dringt als die „eine Stimme“ des Pressesprechers. Die Alternative ist aber nicht automatisch eine Kakophonie von 285.000 Pressesprechern, sondern eine glaubwürdige interne Kommunikation, die es möglichst vielen von diesen 285.000 erlaubt, auch nach außen mit geradem Rückgrat zu sagen: „In dem Unternehmen bin ich richtig. Da möchte ich arbeiten. Und darüber spreche ich gerne auch extern.“

Was bedeuten diese Veränderungen für uns Studierende? Werden in Zukunft neue Anforderungen an uns gestellt und andere Skills gefragt sein?

Meiner Meinung nach werden vermehrt kreative Medienmacher gefragt sein: gute Redakteure, die einen Blick für Geschichten haben und diese Geschichten auch lebensecht erzählen können – in Worten, Bildern, neuen Formaten. Unternehmensjournalisten, die sich in unterschiedliche Zielgruppen einfühlen können. Kommunikationsjunkies mit neuen, auch mal etwas mutigeren Ideen. Menschen, die die Funktionsweise unterschiedlicher Formate verstehen, gerade auch bei der mobilen Internetnutzung, und die schnell auf den Punkt kommen. Der Pressesprecher alter Schule mit dem klassischen Journalisten als Gegenüber nimmt an Bedeutung ab; der kreative Unternehmensjournalist dagegen ist aus meiner Sicht im Kommen. Das Stichwort Content Marketing gehört in diesen Zusammenhang. Mein Rat an Studierende wäre deshalb: Arbeiten Sie nicht nur mit Medienmachern, sondern lernen Sie, wie Medienmacher zu arbeiten. Dann sollten Ihnen schlaflose Nächte wegen mangelnder Berufsaussichten erspart bleiben. 

Interview: Monika Zureck und Luisa Bißwanger, Studentinnen des Masters Communication Management an der Universität Leipzig
 

Newsletter

Sie wollen immer auf dem Laufenden sein?

Magazin & Werkstatt