Investor Relations im Social-Media-Bereich ist inzwischen - nicht nur für börsennotierte Unternehmen - eine kommunikative Selbstverständlichkeit. Über die Rolle von Influencern, den Sinn von Pressemitteilungen und die neusten Trends spricht Andreas Hoschke, Geschäftsführer der Agentur
Hoschke & Consorten, im Interview.
"Immer mehr Investoren diskutieren über die Aktien und Anleihen von Unternehmen im Social Web. Das stellt neue Anforderungen an das Management und die Umsetzung der IR, denn das größte Risiko ist eine Kommunikation im Social Web ohne eine klare Strategie und Regeln." Das schreibt der Deutsche Investor Relations Verband auf seiner Website. Wie hat sich der Bereich Social Media IR nach ihren Erfahrungen in den letzten Jahren entwickelt?
Hoschke: Grundsätzlich beobachten wir, dass die Bedeutung von Social Media IR zunimmt. In welchem Maße hängt davon ab, ob es sich um klassisch börsennotierte Unternehmen handelt oder um kapitalsuchende Startups. Mittelständische Unternehmen mit Börsennotierung sind - das ist unsere Erfahrung - noch recht stark auf klassische Medien fokussiert. Gründe liegen in der Altersstruktur ihrer Investoren, aber häufig liegt es auch an fehlenden Ressourcen. Unternehmen, die eine Seed-Finanzierung oder Crowd-Funding anstreben, gewichten Social Media IR bereits sehr hoch. Die Investoren sind jünger, viele von ihnen über Facebook, Youtube, Twitter & Co. erreichbar. Sie erwarten eine attraktive, auch emotionale Darstellung der Informationen sowie kurze Reaktionszeiten des Unternehmens.
Ein integrierter Twitter-Feed zur Hauptversammlung, eine Online-Live-Videokonferenz für geladene Journalisten zum Quartalsergebnis - ist das schon tägliches PR-Brot für spezialisierte Agenturen oder immer noch die kommunikative Ausnahme?
Es gibt kaum noch Unternehmen, die sich nicht mit diesen Instrumenten beschäftigen. Insbesondere die Hauptversammlung wird häufig für einen Einstieg in Social-Media-IR genutzt. Beispielsweise können schon vorab in den sozialen Medien Fragen gesammelt werden, die der Vorstand am Ende einer Hauptversammlung in Social Web-Kanälen beantwortet. Auch Twitter hat sich als Kommunikationskanal in Stellung gebracht und wird von der Financial Community rege genutzt. Grundsätzlich ist es ratsam, selbst dort aktiv zu sein, wo es die Stakeholder und Interessierten auch sind.
Wo liegen die juristischen und konzeptionellen Grenzen der Social Media IR?
Ganz gleich, welchen Kanal ein Unternehmen nutzt: Es muss sich an die Regeln halten. Und Kapitalmarktrecht und die Richtlinien der BaFin sind nicht gerade bekannt dafür, einen lockeren Kommunikationsstil zu unterstützen. An oberster Stelle steht die transparente und einheitliche Kommunikation. Für die Verbreitung kursrelevanter Nachrichten gibt es entsprechende Vorgaben. Doch Vorstandsinterviews per Videobeitrag oder auch der IR-Blog sind gute Mittel, um Fakten zu erklären, um Verständnis zu werben oder auf Kritik zu reagieren. Jeder sollte sich aber auch im Klaren sein, dass er ein Echo erhält und damit umgehen muss. Konzeptionelle Grenzen ergeben sich meist aus organisatorischen Kapazitäten. Wie groß ist das IR-Team? Kann ich mir externe Unterstützung holen? Was ist "nice to have" und was ist essentiell?
59 Prozent der Investoren lesen regelmäßig Blogs zum Thema IR, so das Ergebnis des
Brunswick Investor Use of Digital and Social Media Survey 2014. Wie wichtig ist unter diesem Aspekt Influencer PR im IR-Bereich
Mund-zu-Mundpropaganda ist immer gute Werbung - egal, ob online oder offline. Meinungsführer können großen Einfluss darauf nehmen, wie Firmen und ihre Produkte wahrgenommen werden. Wenn es gelingt, geeignete Influencer vom Unternehmen zu überzeugen, ist das sicher vorteilhaft. Aber diese müssen sorgfältig ausgewählt und der Kontakt im Anschluss gut gepflegt werden. Diese Kanäle ersetzen die klassischen Kommunikationswege nicht, sie ergänzen sie.
Digitale Medien haben laut der Brunswick-Studie auf die Entscheidung von Investoren inzwischen einen größeren Einfluss als Print oder Online Business Media oder Analystenmeinungen. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung und unter dem Aspekt des Budgetwachstums in diesem Bereich für Sie bestätigen?
Digitale Medien ermöglichen eine Vielfalt an Informationen und Meinungen, eine schnellere, meist auch größere Verbreitung und eine intensivere Diskussion. Diesen Möglichkeiten folgen langsam auch die Budgets. Aber die Themen bleiben nicht in einem Kanal. Wenn ein Finanzjournalist nach einem Interview einen Beitrag schreibt, erscheint dieser in der Zeitung, aber meist auch online. Dann verarbeitet er die Inhalte möglicherweise noch auf Twitter oder in seinem Blog. Die Analystenmeinung finden wir heute ebenfalls auf vielen unterschiedlichen Kanälen, weil sie nach Veröffentlichung kommentiert und geteilt werden. Die Entscheidung der Investoren ist von den Inhalten abhängig, die sie wo auch immer finden können. Da spielen Analysten und Finanzjournalisten nach wie vor eine große Rolle.
Ist die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Finanz- und Wirtschaftsjournalisten und -Blogger via Social Media im IR Bereich zu erreichen, inzwischen sogar größer als sie mit einer klassischen Pressemeldung anzusprechen?
Eine Ad-hoc-Meldung sorgt für Aufmerksamkeit, unabhängig vom Kanal. Pressemeldungen dagegen finden heute weniger Beachtung, weil es einfach zu viele gibt. Grundsätzlich gilt: Ob ein Thema bei einem Journalisten oder Blogger Interesse weckt, kommt auf den Nachrichtenwert, die Relevanz oder die Bedeutung des Unternehmens an. Hier funktioniert aus unserer Erfahrung noch am besten die persönliche Ansprache: Eine E-Mail senden oder ein Telefonat führen und wissen, was der Redakteur braucht. Unabhängig davon ist aber auch klar, dass der Journalist die Social-Media-Kanäle für Recherchen zum Unternehmen nutzt. Dort begegnen ihm dann Nachrichten, die von Investoren oder Interessierten kommentiert oder mit Vertretern des Unternehmens diskutiert werden. Schon deswegen ist die Beschäftigung mit den Social Media Kanälen wichtig.
Wie wichtig ist das Schlagwort Storytelling im Bereich Social Media IR und wie kann es konzeptionell implementiert werden?
Wo immer Menschen zusammenkommen, werden Geschichten erzählt. Gute Geschichten wecken zu Beginn unsere Aufmerksamkeit und bleiben dann im Idealfall auch nachhaltig in Erinnerung. Das gilt auch für die Kapitalmarktstory eines Unternehmens. Dabei gilt es, die Strategie zu vermitteln, Ziele zu artikulieren und diese im besten Falle auch zu erreichen. Wer Motivation für sein Handeln gut erklärt, schafft Nähe. In der Social-Media-IR spielen neben der Faktenlage auch emotionale Aspekte, die Investoren an ein Unternehmen binden, eine Rolle. Entscheidend für den Erfolg ist, dass sich die Story glaubhaft im Handeln des gesamten Unternehmens widerspiegelt. Das setzt voraus, dass die Kommunikations- und die IR-Abteilung konzeptionell eng zusammen arbeiten.
Welche Rolle spielen Social Media Management Tools im Bereich der IR und inwieweit sind sie die Basis für eine KPI-Messung?
IR-Manager sollten sich tagesaktuell informieren können, wie ihr Unternehmen, dessen Produkte oder besonders relevante Themen im Social Web diskutiert werden. Die Werkzeuge, die Nachrichten erfassen, kumulieren und sogar inhaltlich auswerten, dienen zum einen der Erfolgskontrolle. Welche Themen werden besonders gut aufgenommen und verbreiten sich schnell durch Multiplikatoren? Auf Basis dieser Erkenntnis kann die Kommunikation besser justiert werden. Relevante KPIs sind Reichweite, Multiplikation (wie oft geteilt), Positiv- versus Negativnennungen und der Einfluss der Kanäle. Zum anderen sind sie ein gutes Frühwarnsystem. Noch vor institutionellen Marktbeobachtern wie Journalisten oder Analysten kann die IR-Abteilung über die Auswertung von Investorenkommentaren in sozialen Medien zum Beispiel negative Rückmeldungen zu aktuellen Ereignissen frühzeitig wahrnehmen und entsprechend schnell gegenlenken.
Was sind die neuesten Trends und interessantesten aktuellen Social Media Kanäle im Bereich Social Media IR?
Ein Beispiel ist Periscope, eine App aus dem Hause Twitter, mit der jeder Smartphone-Nutzer Live-Videos direkt veröffentlichen kann. Auch Facebook Instant Articles als neue Art der Online-Berichterstattung ist etwas, das wir sehr aufmerksam beobachten. Facebook würde damit seine Position als Nachrichtenkanal weiter stärken.
Interview: Oliver Hein-Behrens