Dürfen PR-Profis Journalisten mit „Liebe Kollegin, lieber Kollege“ ansprechen? Schwierig, findet Geraldine Friedrich.
In meiner Rolle als Journalistin erhalte ich regelmäßig Pressemitteilungen von der Stange: keine persönliche Ansprache mit Namen, häufig nach dem Prinzip Gießkanne. Vermutlich hat die Agentur oder das Unternehmen meine Mail-Adresse aus irgendwelchen Nachschlagewerken gekauft. Damit es nicht so unpersönlich klingt, versuchen es einige Absender mit einer Ansprache wie „Lieber Kollege, liebe Kollegin“.
Die Betonung liegt auf „versuchen“. Denn erstens kann das Verbrüderungs-Vokabular bei einigen Journalistinnen und Journalisten Abwehr-Reaktionen auslösen. Zweitens bleibt die Ansprache ohne Namen immer noch unpersönlich. Drittens wirken solche Pressemitteilungen so, als wolle man sich nicht die Mühe machen, auf ein vernünftiges Newsletter-Tool zu setzen – selbstverständlich mit Opt-Out-Funktion.
Und wie sieht es im direkten Dialog aus, zum Beispiel wenn der Pressesprecher gelernter Journalist ist und die Seite gewechselt hat? Auch dann wäre ich mit der kollegialen Ansprache vorsichtig. Wenn sich beide gut kennen, weil sie als Journalisten während anstrengender Recherchen gemeinsam durch den (virtuellen) Wirtschaftsschlamm gerobbt sind, finde ich „lieber Kollege“ okay. Dann sind aber beide vermutlich eh per Du.
Ansonsten gilt: Wer die Seite gewechselt hat, hat die Seite gewechselt – und ist eben kein Kollege oder keine Kollegin mehr.
Die Autorin: Geraldine Friedrich arbeitet seit 25 Jahren als Journalistin. Zudem
berät die BWLerin Unternehmen bei der Pressearbeit und bei der Entwicklung von Themen.